Anti-Nazi-Gedenken im Juli 2004

Der 20. Juli naht heran, deutsche und österreichische Medien feiern das bissl an halbgarem, sich hinschleppenden und letztlich scheiternden Widerstand gegen das Misslingen der Nazipolitik. Warum?

After the assassination attempt

Stephan Malinowski lehrt Neuere Geschichte an der FU Berlin und sagt dazu im Spiegel: ...weil die Bundesrepublik Symbole brauchte, die das "andere Deutschland" darstellen konnten - nicht zuletzt in Konkurrenz zur DDR mit ihren Märtyrern aus dem kommunistischen Widerstand. Für Westdeutschland gab es im Grunde nur die "Weiße Rose", als romantischen Teil sozusagen, und den Aufstand des 20. Juli. Also wurde Stauffenberg zum Sinnstifter für das offizielle bundesdeutsche Selbstverständnis erkoren. Und der Adel, von jeher Meister im selektiven Erinnern, spielt dabei wieder eine Schlüsselrolle.

Brother and Sister, naive natives

Für uns sind auch die Geschwister Scholl keine Helden, weil sie daür nicht schlau genug waren.

Chaika Grossman, Hashomer Hatzair, MK Chasya Blinka, Liza Czapnik, Ania Ruth

Wenn es so etwas gibt wie Helden, dann sind diese Frau Heldinnen. Die linke Kämpferin heißt Chaika Grossman, hat die gesamte Besatzungszeit in Bialystok im aktiven Widerstand erlebt und die Vorkommnisse sehr genau 1948 in ihrem Text "Anshei Hamateret" (Die Untergrundarmee) beschrieben. Zu einer der bewunderungswürdigsten dargestellten Aktionen zitiere ich aus einem im Anhang beigefügten Bericht verfasst von Lisa Czapnik (auf dem rechten Bild):

Mit Hilfe der Genossinnen aus der Antifaschistischen Organisation M. Kiselstein und C. Grossman, die in der Textilfabrik arbeiteten und fließend Deutsch sprachen, wurden vorsichtige Diskussionen mit dem deutschen Direktor der Fabrik, A.G. Schade abgehalten. Sie endeten mit der Entdeckung seiner antifaschistischen Ansichten und seiner Rekrutierung in die Reihen der aktiven Antifaschisten.

A.G. Schade und weitere Deutsche, die aus verschiedenen Günden neu oder seit immer etwas gegen die Nazis und ihr Treiben hatten, wurden von diesen Frauen angesprochen und zu mutigen und guten Taten verleitet. Das halte ich für etwas vom Mutigsten, was mir je untergekommen ist. In meinem ganzen Leben war ich nie mit einer Situation konfrontiert, wo ich so mutig sein musste oder konnte.

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1914, das deutsche Proletariat versagt praktisch endgültig

Vorbei ist der Rausch. Vorbei der patriotische Lärm in den Straßen, die Jagd auf Goldautomobile, die einander jagenden falschen Telegramme, die mit Cholerabazillen vergifteten Brunnen, die auf jeder Eisenbahnbrücke Berlins bombenwerfenden russischen Studenten, die über Nürnberg fliegenden Franzosen, die Straßenexzesse des spionenwitternden Publikums, das wogende Menschengedränge in den Konditoreien, wo ohrenbetäubende Musik und patriotische Gesänge die höchsten Wellen schlugen; ganze Stadtbevölkerungen in Pöbel verwandelt, bereit, zu denunzieren, Frauen zu mißhandeln, Hurra zu schreien und sich selbst durch wilde Gerüchte ins Delirium zu steigern; eine Ritualmordatmosphäre, eine Kischinjow-Luft [1], in der der Schutzmann an der Straßenecke der einzige Repräsentant der Menschenwürde war.
[1] mit Bezug auf die antisemitischen Pogrome 1903 in Chisinau, Moldavien

Diesmal kein Rätsel, es wäre mit google ebenso leicht zu lösen. Das Zitat stammt aus der sogenannten "Junius-Broschüre", einer Arbeit von Rosa Luxenburg mit dem Titel "Die Krise der Sozialdemokratie". "Der Krieg und die Internationale" von Trockij ist nämlich leider ein sehr durchwachsener Text mit sehr vielen richtigen aber auch haarsträubenden Analyse-Elementen. Diese Arbeit von Luxenburg zum gleichen Thema ist von einer einheitlicheren und sowohl sachlich als auch schriftstellerisch höheren Qualität, findet wenigstens Ihr Redakteur.

Prompt wurde die Schrift von Vladimir Iljič Uljanov, genannt Lenin, bald nach dem Erscheinen auch als schwer fehlerhaft kritisiert. Dieser konnte Luxenburg wissenschaftlich zwar nicht das Wasser reichen, als radikal-kleinbürgerlicher-jakobinischer Verschwörer war er jedoch natürlich um Klassen bevorzugt aber auch besser. Bis heute ist dieses Heftchen (bzw. heutzutage Hateemel-via-Hatetepe) jeder/m, die/r sich für die Geschichte des 20. Jhdt. interessiert, als lesenswert zu zempfehlen.
(Hinweis: Im Web bei den üblichen Sehnsucht-nach-dem- neunzehnten-Jahrhunderts-Meiern von den diversen Marxismus-Leninismus-Archiven oder gleich über google)

Die gute Frau Luxenburg zitiert darin auch sehr schön, nämlich z.B. aus "Der achtzehnte Brumaire des Louis Napoleon Bonaparte" von K.M. und auch dieses Zitat ist bis heute anwendbar geblieben:

Jedenfalls geht der Demokrat ebenso makellos aus der schmählichsten Niederlage heraus, wie er unschuldig in sie hineingegangen ist, mit der neugewonnenen Überzeugung, daß er siegen muß, nicht daß er selbst und seine Partei den alten Standpunkt aufzugeben, sondern umgekehrt, daß die Verhältnisse ihm entgegenzureifen haben.

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Jeder Sieg ein Phyrrus-Sieg

  • Das Gewinnen ist vollkommen unwichtig
  • Es kommt auf das Nichtverlieren an

Das Gewinnen ist ein Nebeneffekt des Nichtverlierens. Manchmal ein sehr angenehmer, oft ein ziemlich unangenehmer. Nicht verlieren ist sehr wichtig, weil das oftmalige Verlieren so unangenehm ist, dass man selbst kaum mehr anders als unangenehm sein kann.

Nehmen wir eines meiner Lieblingsbeispiele: die asiatischen Reiternomaden, deren Auseinandersetzungen mit den Han seit den Hunnen, einseitig aber relativ gut dokumentiert sind, hatten ab der vorletzten Jahrtausendwende endlich eine wichtige Lektion gelernt. Es war nicht notwendig, sich auf dem Markt von den Han über den Tisch ziehen lassen müssen und sie zum Ausgleich hin und wieder auszurauben. Nein, man konnte sie durch Besteuerung und eine halbwegs disziplinierte Verwaltung und Polizei beherrschen und zur Mehrung des eigenen Reichtums nutzen. Zunächst taten das die Dschurdschen und Liao in Nord- und Nordwestchina. Einen Höhepunkt der Entwicklung stellte im 13. Jhdt. die mongolische Eroberung von China, Persien und Russland sowie deren Nebenländer unter Dschingis, Ögödei und Möngke dar. Zunächst ein gigantischer militärischer und ökonomischer Sieg, der allerdings nach weniger als 100 Jahren zum Verschwinden der Mongolen aus der großen Weltgeschichte führte. Heute sind die Mongolen fromme Buddhisten, größtenteils sehr arm, aber frei.

300 Jahre später hatten die Mandschu noch eine Menge dazugelernt, vor allem das, was die Mongolen nicht wußten und konnten, bzw. deren Fehler korrigiert. Sie waren dadurch in der Lage, die Han zu besiegen und 270 Jahre lang zu beherrschen. Eine Verdreifachung des mongolischen Sieges sozusagen. Den Preis zahlen seit fast 100 Jahren ihre Nachfahren: Die Mandschu leben als verachtete Minderheit in der kältesten und beschissensten Provinz Chinas.

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Kriegsgründe, reale und vorgeschlagene

דאָװיד כּראַקאַוער שפּילט האַיִט אין תּיִען מיר גײן הין

In Groundless Solidarity fragte ich nicht danach, mit welchen Gründen man für den Krieg gegen den Irak bzw. Saddam Hussein sein kann, sondern nach den Gründen ausserhalb eines dogmatischen Pazifismus, mit denen man hierzulande dagegen sein kann.

Bis jetzt habe ich noch kaum welche wahrgenommen, die ich glaube oder die mich beeindrucken. Und interessant finde ich eben nicht, mit welchen falschen Gründen, die einen dafür sind, sondern mit welchen unglaubwürdigen die anderen dagegen sind bzw. wie wenig sich irgendwer echt anstrengt, irgend eine Art echter Gründe vorzubringen bzw. zuzugeben. Hamm wir ja auch nicht nötig in der sogenannten 1. Welt.

And now to something completely different: Hab mich wiedereinmal damit herumgeschlagen, was den PC-Benutzern eingängig ist und was nicht und worin einerseits MS und andererseits HTTP und die Dokumentenmetapher im WWW große Künstler sind: verbergen, was abgeht. Wenn nicht gerade ein Modem daran erinnert, daß es keine Dauerverbindung gibt, geben ein Dokument und ein zustandsloses Protokoll nahezu gratis den Eindruck davon. Bei SMB oder NFS ensteht durch das dauernde Geschwätz zwischen Client und Server ein früher sicher und heute irgendwie auch noch hoher Preis (Security, Traffic). FTP macht das alles nicht und darum wird es von vielen heutigen Usern nicht mehr verstanden und schon gar nicht geliebt. Dafür kann ich es jetzt wieder ganz gut. I luv RFCs.

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Groundless Solidarity

Gibt es so etwas wie eine abstrakte Solidarität? Wenn sich allenthalben in Amerika und Europa Leute gegen den geplanten Krieg im Irak-e 'Arab aussprechen, ist relativ leicht festzumachen, wogegen und gegen wen sie zu sein scheinen.

Wie immer ist aber die schwierige Frage: Wofür sind diese Leute explizite aber auch implizite? Für die UNO? Für Verhandlungen? Für prinzipielle Freundlichkeit gegenüber Muslimen? Für die Beibringung echt gerechter Gründe vor Kriegsbeginn?

Engagiert sich Judith Butler für das <a href=www.fr-aktuell.de>Gesetz, weil dieses den Weltfrieden mehr erhält als der Wille? Ist einem der Weltfrieden zwischen lauter Ausländern wichtig, damit es einem selber gut geht? Damit man beim Fernsehn nicht mit blutenden Kindern belästigt wird?

1000 Fragen. Keine Antworten. Jedenfalls keine, die es bei uns gratis gibt.

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last updated: 03.10.24, 19:21
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Hm. Ich glaub, da gibt es schon noch einige Kandidat*innen. Mir fällt spontan Lisz Hirn ein. Ich fürchte nur, die schaffen es nicht mehr, so....
by tobi (03.10.24, 19:21)
Die sind
wirklich die allerletzten.
by StefanL (18.09.24, 08:42)
Es gibt sogar
Verbrecher, die das ganze WE zusätzlich durcharbeiten, um Pegelkarten zu bauen. Das sind dann die allerletzten.
by gHack (17.09.24, 18:56)
Geändert
Inzwischen hat Herr Fidler den Fehler erkannt und korrigiert sowie sich inzwischen bei den LeserInnen entschuldigt. Nur damit das nicht untergeht. Wir haben hier in der....
by StefanL (21.02.22, 09:17)
There has been evidence
that the important and successful ideas in MSFT - like licensing the Unix source code in the 70ies and learning from it and licensing QDOS....
by StefanL (02.01.22, 11:18)
Now
I think I maybe know what you meant. It is the present we know best and the future we invent. And history is mostly used....
by StefanL (02.01.22, 09:51)
???
Hey, it's just a phrase wishing to convey that you're always smarter after the event than before it.
by StefanL (28.12.21, 07:35)
Addendum
Oracle is now mentioned in the English Wikipedia article on teletext and even has its own article here. Electra has one too.
by MaryW (22.12.21, 07:11)
We have grossly erred
At least in point 5. We thought, people would have come to the conclusion that permanently listening to directive voices as an adult is so....
by MaryW (21.12.21, 07:42)
Did not want to spell the names out
Ingrid Thurnher should have been easy, as she is pictured in the article. Harald F. is an insider joke, the only media journalist in Austria,....
by StefanL (19.12.21, 08:45)
...
with four letters it becomes easier though i am not sure with hafi… anyhoo, inms guessing acronyms or whatever this is. *it’s not my steckenpferd
by tobi (24.11.21, 20:49)
Should be
pretty easy to guess from the context and image who HaFi and InTu are. Besides, thx for the hint to the open bold-tag.
by MaryW (22.10.21, 01:16)
Low hanging fruit
1 comment, lower geht es mathematisch schon aber psychosomatisch nicht.
by MaryW (15.10.21, 19:51)
...
da ist wohl ein <b> offen geblieben… und wer oder was sind HF und IT?
by tobi (25.09.21, 10:50)
manche nennen das
low hanging fruits, no?¿
by motzes (25.08.21, 20:33)
Freiwillige Feuerwehr
Wie ist das mit den freiwilligen und den professionellen Feuerwehren? Wenn 4 Häuser brennen und nur 2 Löschzüge da sind, dann gibt es doch eine....
by MaryW (22.07.21, 07:06)
Well
That is a good argument and not to be underestimated. I was convinced a malevolent or rigid social environment (the others) posed the largest obstacle....
by MaryW (18.07.21, 08:54)
Und noch etwas
Die Schutzkleidung ist ein großes Problem. Sie verhindert allzu oft, dass mann mit anderen Säugetieren gut umgehen kann.
by StefanL (26.05.19, 07:09)
Yeah
U get 1 big smile from me 4 that comment! And yes, i do not like embedded except it is good like this. It's like....
by StefanL (19.05.19, 16:30)
Mustererkennung
Just saying. #esc #strachevideo pic.twitter.com/OIhS893CNr— Helene Voglreiter (@HeeLene) May 19, 2019 (Sorry, falls embedded unsocial media unerwünscht ist…)
by tobi (19.05.19, 10:57)

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