MaryW, 08.06.19, 07:30
Am 8. Januar 1918 hält der amerikanische Präsidenten Woodrow Wilson im Kongress seine berühmte Rede mit den "14 Punkten". Einer der Hauptpunkte ist das "Selbstbestimmungsrecht der Völker". In Punkt 10 heißt es mit Bezug auf die Donaumonarchie:
"Den Völkern Österreich-Ungarns, deren Platz unter den Nationen wir geschützt und gesichert zu sehen wünschen, sollte die freieste Gelegenheit zu autonomer Entwicklung zugestanden werden".
Alle Nationalitäten sowie alle Bürger und Politiker, die das Habsburger-Reich lieber auflösen als reformieren wollen, fühlen sich bestärkt. Wenig später wird sich zeigen, dass dem Selbstbestimmungsrecht genauso wie der Souveränitat der Völker durch die politischen Eliten der gerade dominanten Mächte immer schnell die Grenzen aufgezeigt werden. Andererseits stellt sich schnell, und nur rund 130 Jahre nach der französischen Revolution heraus, dass die Begriffe "das Volk" und "die Völker" im 20. Jahrhundert vielleicht nicht mehr das sprachliche und denkerische Optimum für die Bestimmung von Selbständigkeit und Souveränität darstellen.
Im Februar 1918 kommt es nach 3 1/2 Jahren Krieg bei der k.u.k. Kriegsmarine zu Meutereien. Im April 1918 meutern die ersten Armee-Truppen, die nicht an die Front in Italien zurück gehen wollen. Die Meutereien werden mit Hilfe des Standrechts beendet und die militärische Ordnung so wieder hergestellt.
Am 3. März 1918 wird nach langen und ergebnislosen Verhandlungen, der militärischen Besetzung der Westgebiete des ehemaligen Russischen Kaiserreichs und der erneuten Aufnahme von Verhandlungen in Brest-Litowsk ein Friedensvertrag zwischen dem Deutschen Reich, Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich auf der einen und Sowjetrussland auf der anderen Seite unterzeichnet. Damit scheidet letzeres als Teilnehmer am ersten Weltkrieg aus.
Die Versorgungslage bei Grundnahrungsmitteln und Heizstoffen in Österreich-Ungarn ist gegen Ende des 4. Kriegsjahres schon katastrophal schlecht. Die Kriegswirtschaft requiriert immer mehr Heu und Vieh von den Bauern, die dann oft nicht einmal ordentlich abtransportiert und verteilt werden. Der Schwarzmarkt breitet sich ständig weiter aus. Die Bauern beginnen Wachen aufzustellen, damit nicht zusätzlich zu den steigenden Wegnahmen der Militärkommissionen Kartoffel, Rüben und andere Lebensmittel von den Feldern gestohlen werden. Die Stimmung in der Bevölkerung ist von Kriegsmüdigkeit geprägt und die anfängliche Euphorie längst vergessen.
Mit Versorgungskrisen haben mittlerweile alle kriegführenden Staaten Europas zu kämpfen. Deutschland und den Westmächten gelingt es im Gegensatz zu Österreich-Ungarn aber noch, die ärgsten Auswirkungen durch eine gute Organisation abzufedern. Angesichts des Versagens der staatlichen Behörden bei der Versorgung blüht der Schwarzmarkt, und die ersten Hungerrevolten bedrohen die mühsam aufrechterhaltene öffentliche Ordnung.
Am 11. Juni 1918 betraut Kaiser Karl I. auf Vorschlag des k.k. Ministeriums Seidler Johannes "Johann" Schober mit der Leitung der k.k. Polizeidirektion. Schober wird bis zu seinem Tod mit Unterbrechungen aufgrund seiner Amtszeiten als Bundeskanzler bzw. Vizekanzler Leiter der (Bundes-)Polizeidirektion Wien bleiben. Er begleitet in dieser Funktion den Übergang vom Kaisertum Österreich zum republikanischen Staat Deutschösterreich und zur Republik Österreich.
Schober hat von 1894 - 1898 an der Universität Wien Rechtswissenschaft studiert, hat dem Akademischen Gesangsverein (AGV), deren Nachfolger heute die "fakultativ schlagende Universitäts-Sängerschaft Barden zu Wien" ist, angehört und ist 1898 in den Polizeidienst eingetreten.
Vom 13. - 15. Juni 1918 versuchen die österreichisch-ungarischen Truppen entlang der gesamten österreichisch-italienischen Front eine letzte Offensive. Das italienische Militär und die alliierten Truppen in Italien kennen bereits die Pläne und den Zeitpunkt und haben wenig Mühe, den österreichischen Angriff abzuwehren.
Am 16. Oktober 1918 erlässt Kaiser Karl sein sogenanntes "Völkermanifest", nach dem Österreich-Ungarn als ein Bund freier Nationen fortbestehen soll. Die ungarische Regierung kann allerdings verhindern, dass das Manifest auch für die ungarische Reichshälfte gilt.
"Österreich soll dem Willen seiner Völker gemäß zu einem Bundesstaate werden, in dem jeder Volksstamm auf seinem Siedlungsgebiete sein eigenes staatliches Gemeinwesen bildet. ... Diese Neugestaltung, durch die die Integrität der Länder der Heiligen Ungarischen Krone in keiner Weise berührt wird, soll jedem nationalen Einzelstaate seine Selbständigkeit gewährleisten."
In der Geschichtswissenschaft gibt es eine weitgehende Einigkeit darüber, dass dieses verspätete Angebot zur Föderalisierung des Habsburgerreiches von der Mehrheit der politischen Parteien der einzelnen Nationen im Reichsrat nicht mehr als Einladung zu einer Reform der Monarchie wahr- bzw. angenommen wird, sondern als Zugeständnis, die eigene Zukunft selbst zu gestalten, und damit praktisch als Auflösungbescheid interpretiert wird. Die Option eines relativ leichten Austritts aus der Donaumonarchie setzt sich nun endgültig durch, die letzten nicht deutschsprachigen habsburg-loyalen Politiker werden von dieser Möglichkeit überzeugt oder überwältigt. Das Völkermanifest beschleunigt so ungewollt den Zerfall der monarchischen Staatsmacht.
Die Entente tut nun ihrerseits alles ihr Mögliche, um die Auflösung des Habsburger-Reichs weiter zu fördern. Bei aller Schwäche ist die Donaumonarchie ja seit 1848 zusammen mit dem russichen Kaiserreich sowie zunehmend im Bündnis mit dem Deutschen Kaiserreich ein militaristisch-konservatives Hemmnis für die freie demokratisch-bürgerliche kapitalistische Entwicklung Europas, speziell Ost- und Südosteuropas gewesen.
Am 21. Oktober 1918 treten 208, nach Eigenbezeichnung deutsche, Abgeordnete des letzten Reichtags der österreichischen Hälfte der Donaumonarchie zusammen und konstituieren die Provisorische Nationalversammlung für Deutschösterreich. 85 von ihnen sind 3 Jahre vor dem Beginn des 1. Weltkriegs in Gebieten gewählt worden, deren Zugehörigkeit zur Republik Österreich sich später nicht erreichen lassen wird. Alle 208 Abgeordnete sind Männer, da bei der Wahl 1911 Frauen weder aktiv noch passiv wahlberechtigt gewesen sind. Der Deutsche Nationalverband (DN) stellt 96 Abgeordnete, die Christlichsoziale Partei (CS oder CSP) 65 Abgeordnete, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) 38 Abgeordnete, die Unabhängigen stellen 5 Abgeordnete, der Block demokratischer Parteien 4 Abgeordnete.
Aus der Reichsratswahl 1911 ist ein Wahlbündnis von deutschnationalen und liberalen Parteien, der Deutsche Nationalverband, als relativer Sieger hervorgegangen und hat 100 der 516 Sitze erhalten. Die Wahlbeteiligung ist bei 80,2 % der wahlberechtigten Männer gelegen. Die SDAP hat 82 Sitze, die CSP 74 Sitze erlangt. 44 Sitze der SDAP und 9 Sitze der CSP sind 1911 aus Wahlkreisen außerhalb des von der PNV beanspruchten "deutschösterreichischen" Gebietes an sich nicht als "deutsch" verstehende Abgeordnete gegangen, während 96 von 100 Abgeordneten des deutschnationalen Blocks nach Eigenbezeichnung "Deutsche" aus den entsprechenden Wahlkreisen gewesen sind.
Die Vorsitzenden der beiden die Zukunft Österreichs bestimmenden Parteien aus dem letzten Reichsrat, werden in der 1. Republik keine führende Rolle mehr spielen. Aloys von Liechtenstein, Bundesobmann der CSP seit 1910, bleibt dem Haus Habsburg treu und wird wegen der Zustimmung seiner Partei zur Gründung der Republik von seinen Ämtern zurücktreten. Viktor Adler, der Gründer und Parteivorsitzende der SDAP wird den neuen Staat noch mitgründen und ihr für wenige Tage bis zu seinem Tod als Staatsekretär für Äußeres dienen.
Am 21. Oktober, in ihrer konstituierenden Sitzung, wählt die PNV drei gleichberechtigte Präsidenten, die die 3 wichtigsten politischen Lager Deutschösterreichs nach dem "Bankrott" der Donaumonarchie repräsentieren, den Deutschen Nationalverband als Sammlung aller deutschnationalen Parteien, die Christlichsoziale Partei und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei.
- Franz Dinghofer (Deutschnationale Partei, DnP), Richter aus Urfahr, seit 1907 Bürgermeister von Linz, seit 1911 Reichsratsabgeordneter, bekennender Antisemit, unter Ignaz Seipel von 20. Oktober 1926 bis 19. Mai 1927 Vizekanzler, danach Kanzleramtsminister, von 1927 bis 1928 Bundesminister für Justiz, 1928 - 1938 Präsident des Obersten Gerichtshofes, nach dem "Anschluss" am 11. Mai 1938 in den Ruhestand versetzt, ab 1. Juli 1940 Mitglied der NSDAP)
- Jodok Fink (Christlichsoziale Partei, CSP), Landwirt aus Vorarlberg, seit 1897 Mitglied im Österreichischen Reichsrat, zunächst parteilos, ab 1901 als Mitglied des antisemitischen, antiliberalen Parlamentsklubs der CSP, Verfechter der Eigenstaatlichkeit Österreichs, Vizekanzler der ersten großen Koalition unter Renner, ab Oktober 1919 Klubobmann der CSP im Nationalrat
- Karl Seitz (Sozialdemokratische Arbeiterpartei, SDAP), Lehrer aus Wien, seit 1901 Mitglied im Österreichischen Reichsrat, seit 1902 Abgeordneter im Landtag von Niederösterreich, von 11. November 1918 bis zu ihrem Verbot 1934 Parteivorsitzender der SDAP, von 15. März bis 9. Dezember 1920 erstes Staatsoberhaupt der Republik, von 1923 bis 1934 Bürgermeister von Wien
Fink legte die Präsidentenfunktion, die er nur wegen einer Erkrankung von
- Johann Nepomuk Hauser (CSP), katholischer Priester, Sekretär des Oberösterreichischen Volkskredit, Redakteur der Christlichen Kunstblätter, Redakteur der katholischen Arbeiter-Zeitung, seit 1899 Abgeordneter zum oberösterreichischen Landtag, seit 1908 Reichsratsabgeordneter, Bundesobmann der CSP 1918 - 1920, Nationalratsabgeordneter bis 1927, Landeshauptmann von Oberösterreich 1908 - 1928
übernommen hat, noch vor der nächsten Sitzung am 30. Oktober 1918 wieder zurück und wird zum Clubobmann der CSP in der PNV gewählt.
Am 24. Oktober beginnt die italienische Armee zusammen mit den in Italien stationierten britischen und französischen Truppen eine neue Offensive. Nach 2 Tagen löst sich die Front auf. Der Minister des Äußeren, Gyula Graf Andrássy, erklärte das Bündnis mit Deutschland für beendet. Der Kaiser ernennt eine österreichisch-ungarische Waffenstillstandskommission und macht General Viktor von Weber zu ihrem Leiter. Weber wird ermächtigt, für einen Waffenstillstand alle Bedingungen zu akzeptieren, außer solchen, die auf eine Entehrung der Armee oder eine völlige Entrechtung Österreichs zielen. Die Alliierten fordern allerdings die bedingungslose Kapitulation.
Am 26. Oktober 1918 konstituieren sich die deutschsprachigen Landtags- und Reichtagsabgeordneten in Tirol und wählen einen "Tiroler Nationalrat" aus ihrer Mitte. Die Angst in Tirol vor den heimkehrenden, verwahrlosten multinationalen k.u.k. Truppen und dann nachrückenden italienischen Entente-Truppen wird riesengroß.
Am 27. Oktober 1918 ernennt Kaiser Karl I. seine letzte Regierung, das Ministerium Lammasch. Der Wiener Prälat Ignaz Seipel wird Minister für Öffentliche Arbeit und Soziale Fürsorge. Nach außen hin soll der Ruf des Pazifisten Heinrich Lammasch seinem Kabinett "das Etikett einer Friedensregierung" verleihen. Am Tag zuvor hatte ihn die Neue Freie Presse als "Liquidator des alten Österreich" und sein Ministerium als "Liquidationsministerium" angekündigt. Die der Christlichsozialen Partei nahestehende Reichspost bezeichnet das Kabinett Lammasch als "Ordnungsministerium".
Am 28. Oktober 1918 proklamieren die tschechischen und slowakischen Parteien ihre Unabhängigkeit von Österreich und Ungarn.
Am 29. Oktober 1918 kündigen slowenische und kroatische Parteien gemeinsam mit serbischen Politikern die Gründung eines südslawischen Staats an. Die maßgeblichen politischen Parteien im österreichischen Slowenien und im ungarischen Kroatien hatten zuvor eigene Staatsbildungen angestrebt. Der nach Kriegsende stark ausgreifende Imperialismus Italiens hat die Mehrheit der politischen Vertreter beider Volksgruppen bewogen, sich der Vereinigung aller südslawischen Völker unter dem König von Serbien in einem neuen gemeinsamen Staat anzunähern.
Zwar hat es auch bei den Siegermächten des 1. Weltkriegs Stimmen für den Erhalt der Donaumonarchie und Sympathien für eine Föderation als Nachfolgekonstruktion gegeben, aber nun haben die "Völker seiner apostolischen Majestät" neue Realitäten in die Welt gesetzt.
Am 30. Oktober 1918 tritt auch die PNV wieder zusammen und bestätigt Franz Dinghofer mit 157 von 163 abgegebenen Stimmen und Karl Seitz mit allen 163 abgegebenen Stimmen im Amt. Sie wählt Hauser mit 163 Stimmen anstelle des rechtzeitig zurückgetretenen Fink ebenfalls zum Präsidenten. Danach wählt sie 20 weitere Staatsratsmitglieder und setzt damit den Staatsrat als ihren Vollzugsausschuss ein. Der Staatsrat bestellt seinerseits unmittelbar darauf die Staatsregierung Renner I. Da der Staatsrat erstmals eine Regierung ohne Einbindung des Kaisers ernennt, gilt der 30. Oktober 1918 als Gründungstag des Staates Deutschösterreich und der mit ihm in Rechtskontinuität stehenden Republik Österreich. Lammasch beginnt ohne weitere Anweisung des Kaisers, die Regierungsgeschäfte an den Staatsrat zu übergeben.
In der Nacht zum 31. Oktober 1918 besetzten militärische Einheiten im Rahmen der "Astern-Revolution" die Hauptstadt Budapest. Ungarn erklärt 1918 den Austritt aus der Realunion mit Österreich und ruft die magyarischen Truppen von der italienischen Front zurück. Damit ist die k. u. k. Monarchie aufgelöst. Auf dringende Forderungen ungarischer Spitzenpolitiker erklärt König Karl IV. am 13. November 1918 auf Schloss Eckartsau seinen Verzicht auf jeden Anteil an den ungarischen Staatsgeschäften, so wie er dies als Kaiser Karl I. zwei Tage zuvor für Österreich erklärt hatte. Eine formelle Abdankung erfolgte jedoch nicht.
Die ersten demokratische Staatsregierungen
Am 31. Oktober 1918 wird die neue Staatsregierung Renner I durch Karl Seitz und Franz Dinghofer im Budgetsaal des Reichsratsgebäudes angelobt. Im Kabinett Renner I sind die drei politisch-ideologischen Lager, Deutschnationale, Christlichsoziale und Sozialdemokraten vertreten. Außenstaatssekretär dieser Regierung ist bis zu seinem Tod, Viktor Adler, SAPD. Staatssekrektär für Inneres wird Heinrich Mataja, CSP, Leiter des Amtes für Sozialfürsorge wird Ferdinand Hanusch, SAPD und Staatssekretär für Öffentliche Arbeiten Johann Zerdik, CSP. Der deutschnationale Block erhält die Staatssekretariate für Finanzen, Heerwesen und Unterrricht. Ignaz Seipel muss seine ministerialen Agenden jeweils an Hanusch und Zerdik übergeben, verbleibt aber noch ohne Portefeuille im tätigkeitslosen Kabinett Lammasch. Der Stellvertreter des des Außenministers Ludwig von Flotow übergibt die Agenden an Viktor Adler.
In der neuen Staatsregierung führt jeweils ein Vertreter des dreiköpfigen Staatsratspräsidiums bei den Kabinettssitzungen den Vorsitz. Die drei Präsidenten Seitz, Hauser und Dinghofer wechselen einander wöchentlich ab, je einer führt jeweils im Haus (Provisorische Nationalversammlung), im Rat (Staatsrat) und im Kabinett (Staatsregierung) den Vorsitz. Der Staatskanzler (Leiter der Staatskanzlei) ist formell ihr Hilfsorgan.
Am 1. November 1918 verkündet der Tiroler Nationalrat, er übernehme "die gesamte Zivil- und Militärgewalt Deutschtirols". Er fordert die Abriegelung Nordtirols gegen die zurückflutenden k.u.k. Armee und ersucht zu diesem Zweck direkt um die Unterstützung reichsdeutscher Truppen und später sogar die der Entente-Truppen. Lieber sollen alle k.u.k. Heeresgruppen in Gefangenschaft geraten als dass Tirol verwüstet werde.
Am 2. November 1918 beauftragt Karl I. Ludwig von Flotow mit der Leitung seines Außenministeriums.
Am 3. November 1918 scheidet Österreich mit der Kapitulation und dem Abschluss eines Waffenstillstands defacto aus dem Ersten Weltkrieg aus. In der CSP mehren sich die Stimmen, sich den beiden anderen politischen Lagern in der Frage "Monarchie oder Republik" anzunähern. Der monarchistische Parteiobmann Aloys von Liechtenstein, dessen Einfluss schon seit der verlorenen Reichsratswahl 1911 schwach ist, legt aus Protest seine Funktion als Parteiobmann zurück. Hauser wird nun zum Parteiobmann der CSP gewählt.
Am 3. November 1918 bildet sich in Bregenz die Provisorische Landesversammlung und beschließt, dass Vorarlberg ein selbständiges Land im Rahmen des deutschösterreichischen Staates ist. Fast gleichzeitig gründet der Lehrer Ferdinand Riedmann eine Bürgerinitiative für den Anschluss an die Schweiz, die in den nächsten Monaten eine Mehrheit der wahlberechtigten Vorarlberger hinter sich bringen kann.
Am 9. November wird die Abdankung Wilhelms II. in Berlin bekanntgegeben. Der Ministerrat unter Lammaschs Vorsitz befasst sich mit den Folgen für die monarchische Staatsform in Österreich. Streckenweise sind auch Karl Renner und Karl Seitz als Repräsentanten des neuen Staates Deutschösterreich und seiner Provisorischen Nationalversammlung bei den Beratungen anwesend. Der Ministerrat entwirft und redigiert unter der Führung Lammaschs die Thronverzichts-Proklamation des Kaisers.
Am 10. November, teilt Renner dem Ministerrat mit, der Staatsrat werde am 11. November den Antrag an die Nationalversammlung beschließen, die Republik einzuführen. Lammasch konferierte daher noch am selben Tag neuerlich mit dem Kaiser.
Am 11. November 1918 stirbt Viktor Adler, Arzt und Journalist, der Gründer und Parteivorsitzende der SAPD und Staatssekretär für Äußeres.
Sein Sohn, der gerade amnestierte Friedrich Adler und seit 1914 unbedingter Kriegsgegner wird als Volksheld nicht nur von der eigenen Partei, sondern auch von der neu gegründeten Kommunistischen Partei Österreichs umworben, die ihm zweimal vergeblich die Parteiführung anträgt. Adler bleibt der SDAP treu und hat in der Führung der Arbeiterräte eine Schlüsselfunktion für den weiteren Verlauf inne.
Am 11. November 1918 überzeugt Heinrich Lammasch, der auf jeden Fall einen Bürgerkrieg vermeiden will, den Kaiser in Schönbrunn, die gemeinsam von seinem Ministerrat mit den Politikern der PNV erarbeitete Verzichtserklärung zu Mittag zu unterzeichnen. Nach allen Zeugnissen stammt die Formel "Ich verzichte auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften" vom Minister ohne Portfeuille Ignaz Seipel. Der Kaiser entbindet am Nachmittag das Ministerium Lammasch von seiner Verantworung und enlässt es aus dem Amt. Ludwig von Flotow wird beauftragt, das k.u.k. Außenministerium samt seinen Botschaften, Gesandtschaften und Konsulaten im Ausland und des großen Beamtenapparats in Wien bis spätestens 1920 unter Aufsicht der republikanischen Regierung zu liquidieren.
Die CSP enscheidet sich nun als letzte Fraktion in der PNV mehrheitlich für die Errichtung einer Republik. Ein Beharren auf der Monarchie als Regierungsform würde für die CSP in dieser Situation wohl die politische Selbsteliminierung bedeuten.
Am 11. November 1918 kehrt in Polen Józef Piłsudski aus der Internierungshaft in Magdeburg nach Warschau zurück. Er hat sich nach der Niederlage Russlands geweigert, mit seinen Divisionen weiterzukämpfen, da das Kriegsziel der Polnischen Legionen mit der Niederlage Russlands bereits erreicht war. Seine Rückkehr ist der Anlass für die Ausrufung der unabhängigen Zweiten Polnischen Republik. Polen erklärt seine staatliche Einheit und beabsichtigt, die in den Teilungen Polens verlorenen russischen, deutschen und österreichischen Teile wieder seinem Territorium anzugliedern.
Am 12. November 1918 beantragt der Staatsrat einhellig in der PNV die Gründung einer Republik. Nach der dritten Lesung und einstimmigen Annahme des "Gesetzes über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich" erscheinen kurz vor 16 Uhr Parlamentspräsidenten, Regierungsmitglieder und Abgeordnete der Nationalversammlung in feierlichem Zug an der Balustrade vor der Säulenhalle des Parlaments. Präsident Dinghofer beginnt, den Text der neuen Verfassung zu verlesen. Die ersten beiden Artikel des neuen Staatsgesetzes lauten:
Artikel 1
Deutschösterreich ist eine demokratische Republik. Alle öffentlichen Gewalten werden vom Volke eingesetzt.
Artikel 2
Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik. Besondere Gesetze regeln die Teilnahme Deutschösterreichs an der Gesetzgebung und Verwaltung der Deutschen Republik sowie die Ausdehnung des Geltungsbereiches von Gesetzen und Einrichtungen der Deutschen Republik auf Deutschösterreich.
In ganz Österreich ist für diesen Tag Arbeitsruhe angeordnet und die Bevölkerung ist aufgerufen, an der Proklamation teilzunehmen. Trotz des nasskalten Wetters versammeln sich vor dem Parlament etwa 150.000 Menschen. Polizeikräfte sind nicht anwesend. Deren Aufgaben sind an die von Julius Deutsch, SAPD, Unterstaatssekretär für das Heereswesen, organisierte Volkswehr übergeben worden. 2 Parlamentsdiener ziehen rechts und links langsam rot-weiß-rote Fahnen hoch. Rotgardisten reißen aus den Fahnen den weißen Mittelteil heraus und ziehen den roten Rest der Fahnen hoch. Danach sprechen noch Staatskanzler Karl Renner sowie Nationalversammlungspräsident Karl Seitz. Um ca. 16:30 Uhr nehmen die Abgeordneten wieder im Parlament Platz.
Alle bescheidenen Versuche, von innerhalb der Menge die "Sozialistische Republik" auszurufen, scheitern. Die Gewalt hält sich in engen Grenzen. Die Lage bleibt aber angespannt.
Am 13. November 1918 verzichtet König Karl auch in Ungarn auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften. Er dankt aber nicht formell ab.
Am 14. November wird Nationalversammlungspräsident Karl Seitz zum Vorsitzenden der SAPD gewählt und folgt in dieser Funktion Viktor Adler nach.
Am 16. November 1918 ruft die Regierung Károlyi die Republik Ungarn aus. In der ungarischen Verfassung werden die Redefreiheit und das allgemeine Wahlrecht für Männer und Frauen verankert.
Am 21. November 1918 wird Otto Bauer, bisher Unterstaatssekretär im Staatsamt für Äußere Angelegenheiten als Nachfolger Viktor Adlers angelobt.
Am 30. November 1918 bestellt der Staatsrat von Deutschösterreich Johann Schober definitiv zum Leiter der (Bundes-)Polizeidirektion Wien.
Am 1. Dezember 1918 wird formell das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen ausgerufen. Der ungarischen Friedensvertrag von Trianon wird im Juni 1920 alle Sezessionen aus dem Königreich Ungarn legitimieren.
Am 11. Januar 1919 wählt der ungarischen Nationalrat Mihály Károlyi zum Präsidenten der Republik. Károlyi bildet eine sozialistisch-bürgerliche Regierung. Das Waffenstillstandsabkommen wird durch tschechoslowakische, rumänische, serbische und französische Truppen nicht eingehalten.
Am 6. Februar 1919 beschließt die Provisorische Nationalversammlung bei ihrer letzten Sitzung die Geschäftsordnung für ihre Nachfolgeinstitution, die Konstituierende Nationalversammlung für Deutschösterreich (KNV).
Am 16. Februar 1919 finden die Wahlen zur KNV statt. Es sind die ersten österreichischen Wahlen, an denen Frauen und Männer gleichberechtigt aktiv und passiv teilnehmen können. Die KNV ist damit das erste in freier und gleicher Wahl berufene Parlament in der Geschichte Österreichs.
Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) erhält 40,75% der gültigen Stimmen und 72 Mandate. Die Christlichsozialen Parteien (CSP) erhalten 35,93% der Stimmen und 69 Mandate (Christlichsoziale 23,12% → 47M, Niederösterreichischer Bauernbund 7,49 % → 12M, Christlichsoziale Bürger- und Arbeiterpartei 2,07% → 0M, Tiroler Bauernbund 1,70% → 3M, Tiroler Volksverein 1,55% → 7M) . Die Deutschnationalen Parteien erhalten 18,53% der Stimmen und 26 Mandate (Deutschnationale Partei 5,85% → 8M, Deutschdemokraten 2,16% → 3M, Deutsche Volkspartei 2,02% → 2M, Deutsche Freiheits- und Ordnungspartei 1,90% → 5M, Steirische Bauernpartei 1,58% → 3M, Steirische Bauernpartei 1,58% → 3M, sowie weitere deutschnationale Parteien mit insgesamt 3 Mandaten). Die Bürgerlichen Demokraten & D-Ö Wirtschaftspartei der Festbesoldeten und die Jüdischnationale Partei erhalten 1,64% bzw. 0,26% der Stimmen und je 1 Mandat. Das letzte Mandat gewinnt die Tschechischen Sozialdemokratische Arbeiterpartei (ČSSD) . 159 Abgeordnete, davon 8 Frauen (7 Sozialdemokratinnen und 1 Christlichsoziale) werden großteils in der Eröffnungssitzung am 4. März 1919 angelobt
Robert Stricker, Journalist und Vorstandsmitglied der Wiener Kultusgemeinde, der Abgeordnete der Jüdischnationalen Partei, wird bei der Nationalratswahl 1920 der Wiedereinzug ins Parlament nicht gelingen. Für die Nationalratswahl 1923 wird die zionistische Partei mit liberalen Gruppierungen die Jüdische Wahlgemeinschaft bilden und 0,8 % der Stimmen, aber aufgrund des geänderten Wahlrechts kein Mandat erhalten.
Die deutschsprachigen Einwohner Südmährens, das juristisch zur böhmischen Krone gehört aber mehrheitlich deutschsprachig ist, haben sich 1918 an Deutschösterreich bzw. Niederösterreich anschließen wollen, doch hat die Entente der Tschechoslowakei zugesichert, dass alle Länder der böhmischen Krone ungeteilt dem neuen Staat zugeschlagen würden. Tschechische Truppen haben diesen Teil ihres Landes daher schnell besetzt. In St. Germain wird das Selbstbestimmungsrecht der Völker nur dort gefördert, wo es den Allierten nützlich scheint. Dies wird sich negativ auf die politische Stabilitätder Tschechoslowakei und die Loyalitätsgefühle der deutschsprachigen Bevölkerung auswirken. Eine Durchführung der Wahlen zur KNV ist damit in Südmähren unmöglich.
Am 16. Februar 1919 wird auch Ignaz Seipel auf der CSP-Liste für den 1., 3. und 4. Bezirk Wiens in die KNV und von seiner Fraktion ins Klubpräsidium gewählt. Seipel hat im Jahr zuvor mitgeholfen, die Spaltung der Partei über die Frage der von den anderen Parteien als unabdingbar angesehene Abschaffung der Monarchie zu verhindern. Er polemisiert in der KNV immer wieder gegen die Anschlusspläne der Sozialdemokraten und Großdeutschen, nicht zuletzt, weil es ihm klar zu sein scheint, dass diese Absicht von der Entente generell abgelehnt wird und den raschen Abschluss eines Friedensvertrags gefährdet.
Am 23. Februar 1919 beginnt der ungarische Präsident Károlyi auf seinem eigenen Besitz in Kál und Kápolna, der 30.000 Hektar umfasst, persönlich mit der Landreform.
Am 3. März 1919 demissioniert die Staatsregierung Renner, wird aber vom Staatsrat beauftragt, die Geschäfte bis zur Wahl der nachfolgenden Regierung weiterzuführen.
Am 4. März 1919 konstituiert sich die KNV und löst damit die PNV formal ab.
Am 5. März 1919 wählt die KNV Karl Seitz zum Präsidenten und Johann Nepomuk Hauser zum Zweiten Präsidenten. Franz Dinghofer fehlt krankheitsbedingt, er wird erst am 12. März 1919 zum Dritten Präsidenten gewählt.
Für sechs Wahlkreise in "Deutschböhmen", zwei im "Sudetenland" und drei in Iglau, Olmütz und Brünn (mehrheitlich deutsche Städte in tschechischem Gebiet) stehen keinerlei Anhaltspunkte zur Verfügung, wie dort die Wahl ausgegangen wäre, wenn sie durchgeführt hätte werden können. Die SDAP lehnt daher für diese elf Wahlkreise die Einberufung von Abgeordneten ab.
Am 14. März 1919 beschließt die KNV ein Gesetz über die Staatsregierung. Mit Wirkung vom 15. März 1919 schafft die Nationalversammlung damit den Staatsrat, der aus den drei Präsidenten der Provisorischen Nationalversammlung und 20 weiteren Abgeordneten bestanden hatte, ab. Auch die Rotation der drei Vorsitzenden der PNV in ihren Funktionen entfällt. Der Präsident der Nationalversammlung, Karl Seitz, ist damit von 15. März 1919 bis zur Wahl des ersten Bundespräsidenten am 9. Dezember 1920 das erste Staatsoberhaupt der Republik Deutschösterreich, ohne als solches einen expliziten Titel zu führen.
Am 15. März wählt die KNV die Staatsregierung Renner II mit 99 von 99 abgegebenen Stimmen eine Koalitionsregierung von SDAP und CSP, die erste Große Koalition in Österreich, mit dem parteilosen Josef Schumpeter als Finanzminister und dem jüdischen Sozialdemokraten Julius Deutsch als Staatssekretär für das Heereswesen. Die deutschnationalen Abgeordneten geben keine Stimmzettel ab.
Am 20. März 1919 ordnen die Alliierten einen weiteren Rückzug der Armee der Republik Ungarn zu neuen Demarkationslinien an. Die neue Linie trennt auch stark magyarisch besiedelte Gebiete im Südosten ab und wird von Oberstleutnant Fernand Vix, dem Leiter der alliierten Militärmission in Budapest, als unverhandelbare endgültige politische Grenze bezeichnet. Ein Sturm der Entrüstung bricht in der ungarischen Hauptstadt los.
Am 21. März 1919 treten der ungarische Ministerpräsident Dénes Berinkey und seine bürgerlich-sozialdemokratische Regierung zurück. Der zuvor von der Regierung inhaftierte Journalist und Zeitungsherausgeber Béla Kun, der in der russischen Gefangenschaft ein Anänger Lenins und der Bolschewiki geworden ist und im Dezember 1918 die kleine ungarische Kommunistische Partei (MKP) gegründet hat, wird aus der Haft entlassen. Präsident Károlyi übergibt die Macht an den von der sozialdemokratischen und der kommunistischen Partei beherrschten Revolutionsrat.
Der Revolutionsrat setzt seinerseits einen Revolutionären Regierungsrat unter dem Vorsitz von Sándor Garbai von der Sozialdemokratischen Partei Ungarns (Magyarországi Szociáldemokrata Párt, MSZDP) als Regierung ein und formiert in kurzer Zeit eine relativ schlagkräftige Armee, die ungarische "Rote Armee", welche die verschiedenen "Invasoren" zurückschlagen soll. Von Patriotismus getrieben, melden sich zahlreiche Ungarn zum Dienst in der neuen Roten Armee, darunter auch viele Offiziere und Unteroffiziere der einstigen k.u.k. Armee.
Béla Kun und die kommunistische Partei Ungarns beginnen auch, kommunistische und linkssozialistische Menschen in Österreich, die bügerlich-demokratische Republik nicht genügt, einerseits zu unterstützen und andererseits um ihre Unterstützung zu ersuchen. Sie versuchen auch, die Arbeiter- und Soldatenräte in Österreich in eine revolutionärere Richtung zu drängen.
Am 24. März 1919 erklärt der ehemalige Träger der Krone Karl Habsburg-Lothringen anlässlich seiner Ausreise in die Schweiz in einer "Feldkircher Manifest" genannten Pressemitteilung, er habe am 11. November 1918 die Verzichtserklärung nur gezwungenermaßen abgegeben und keinesfalls auf Dauer auf seine Herrscherrechte verzichtet. Nur noch wenige Politiker nehmen das ernst.
Am 4. April 1919 beschließt die Konstituierende Nationalversammlung in Wien, als Ersatz für die Wahlkreise Mittel- und Untersteiermark sowie Deutsch-Südtirol, wo die Wahl nur in wenigen Bezirken durchgeführt worden ist, proportional nach den regional vorliegenden Wahlresultaten, elf weitere auf den Wahllisten der Parteien geführte männliche Kandidaten in die Nationalversammlung einzuberufen.
Artikel 2 des Gesetzes über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich erweist sich bei den Friedensverhandlungen in Frankreich als nicht durchsetzbar. Deutschösterreich muss im Vertrag von Saint-Germain dem von den Siegermächten geforderten Staatsnamen "Republik Österreich" und der vollen Souveränität gegenüber dem Deutschen Reich zustimmen, um einen Friedensschluss zu erreichen.
In der ersten Aprilhälfte 1919 werden in Ungarn vom Revolutionsrat allgemeine Wahlen zum Landesrätekongress der Abgeordneten der Komitate, Städte und Gemeinden abgehalten.
Am 24. April 1919 werden die 11 Ersatzkandidaten als Abgeordnete in der KNV angelobt.
Im Mai 1919 reist eine österreichische Delegation unter der Leitung von Karl Renner nach Saint-Germain-en-Laye. Eine direkte Teilnahme an den Gesprächen wird ihr verweigert, sie kann lediglich schriftliche Vorschläge unterbreiten. Österreich-Ungarn und seine Verbündeten werden als Urheber der Verluste und Schäden der Alliierten bezeichnet. Den Kriegsverlierern wird die Alleinschuld am Krieg zugewiesen.
Am 4. Mai 1919 erreicht die SAPD Niederösterreich durch die Einführung des Frauenwahlrechts bei der Landtagswahl die Mehrheit.
Am 11. Mai 1919 findet in Vorarlberg eine Volksabstimmung zu Verhandlungen über den Beitritt des Landes zur Schweiz statt. Ca. 80 Prozent der stimmberechtigten Vorarlberger stimmen "für die Einleitung von Verhandlungen".
In der Schweiz sind die Meinungen geteilt. Auf der einen Seite sammelt ein privates Initiativkomitee fast 30.000 Unterschriften für die Einleitung einer Verfassungsinitiative zur Aufnahme von Vorarlberg. Auf der anderen Seite sind die Westschweizer Kantone und die Mehrheit der Reformierten gegen die Aufnahme, weil sie die mühsam errungene sprachliche und konfessionelle Balance in Gefahr sehen. Schliesslich beschließt der Schweizer Bundesrat, beim am Status quo zubleiben, behält sich aber vor, im Fall einer unerwarteten Auflösung Österreichs die Sache wieder aufzunehmen. Der Vertrag von St. Germain später im Jahr wird alle Separationsbestrebungen österreichischer Bundesländer beenden. Die Siegermächte des 1. Weltkriegs wünschen eine selbstständige demokratische Republik Österreich innerhalb der von ihnen festgelegten Grenzen.
Am 20. Mai 1919 wird der Sozialdemokrat Albert Sever als erster demokratisch gewählter Landeshauptmann des größten Bundeslandes der neuen Republik angelobt. Er wird dieses Amt 1 1/2 Jahre lang bekleiden, bis am 10. November 1920 die Bundesverfassung in Kraft treten wird, die neben vielen anderen Dingen Wien und Niederösterreich in 2 Bundesländer, ein immer schwarzes und ein immer rotes, teilt.
Am 12. Juni 1919 werden Friedrich Adler Pläne für einen weiteren kommunistischen Revolutionsversuch unter Beteiligung der in Moskau inzwischen gegründeten kommunistischen Dritten Internationale zugespielt.
Am 13. Juni 1919 legte Adler diese Pläne bei der Konferenz der Arbeiterräte auf den Tisch. Sein leidenschaftlicher Appell, diese Aktion nicht zu unterstützen, wird angenommen, alle Vorhaben der kommunistischen Minderheit im Keim erstickt. Otto Bauer, der stellvertretender Parteivorsitzende der SDAP und strikter Demokrat, wird später feststellen, dass "die zielbewusste Führung Friedrich Adlers in den Arbeiterräten, Julius Deutschs und seines Freundeskreises in den Soldatenräten ... den Kampf entschieden haben."
Von 14. - 24. Juni 1919 tagt in Budapest der neu gewählte Landesrätekongress, der sich zum höchsten gesetzgebenden Gremium des Landes konstituiert und eine sozialistische Verfassung beschließt. Der Landesrätekongress proklamiert die Föderative Ungarische Sozialistische Räterepublik und wählt wiederum einen Revolutionären Regierungsrat, zu dessen Vorsitzendem erneut der Sozialdemokrat Sándor Garbai gewählt wird.
Béla Kun fungiert in der vorigen wie in dieser Regierung nur als Volksbeauftragter für Außenbeziehungen, ist aber nach allen Einschätzungen praktisch von Beginn an der "starke Mann" und das einflussreichste Regierungsmitglied. Die Räteregierung erscheint bald als von Béla Kun und der kommunistischen Partei dominiert und entwickelt sich ebenso rasch zu einer vor diktatorischen Maßnahmen und dem Einsatz von Gewalt nicht zurückschreckenden Institution.
Am 25. Juni 1919 verkündet der Landesrätekongress die Diktatur des Proletariats. Béla Kun und die KPM treiben die Verstaatlichung von Banken, Großindustrie, Mietshäusern und Betrieben mit mehr als zwanzig Angestellten rasch voran. Grundbesitz über 100 Joch wird enteignet und in landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften organisiert. Rund 590 Personen werden im Rahmen des sogenannten "Roten Terrors" von Revolutionstribunalen, aber auch von Parteimilizen wie den berüchtigten "Lenin-fiúk" verurteilt und hingerichtet.
Am 26. Juli 1919 tritt Otto Bauer als Staatssekretär für das Äußere zurück. Staatskanzler Renner übernimmt zusätzlich seine Agenden.
Am 1. August 1919 bricht die Ungarische Räterepublik zusammen, als rumänische Truppen im Zuge des Ungarisch-Rumänischen Kriegs die Hauptstadt Budapest besetzen.
Am 2. September 2019 übergeben die alliierten Sieger in Saint-Germain den österreichischen Delegierten den Vertragstext des ohne sie ausgehandelten Friedensvertrags. Dieser Vertrag regelt verbindlich die Auflösung des Kaisertums Österreich, d.h. der im österreichischen Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder und die Bedingungen für die neue Republik Österreich.
Im Gegensatz zu Südmähren, dem Sudetenland, Südtirol, dem Kanaltal und anderen beanspruchten Gebieten beinhaltet der endgültige Vertragstext von St. Germain, dass "Deutsch-Westungarn" an Österreich anzuschließen sei, nachdem erste Vertragsentwürfe die Schaffung der Republik noch ohne dieses Gebiet vorgesehen haben. Ungarn wird 1920 im Vertrag von Trianon verpflichtet werden, dieses Gebiet an Österreich abzutreten.
Am 6. September 1919 ermächtigt die KNV Staatskanzler Renner, den von allen Parteien als problematisch, ungerecht und aufoktroyiert empfundenen Friedensvertrag abzuschließen.
Am 9. September 1919 veröffentlicht der sozialdemokratische Landeshauptmann von Niederösterreich, Albert Sever, einen real undurchführbaren Ausweisungserlass, um journalistische und andere über die vielen Flüchtlinge, besonders die vom Kriegsschauplatz in Galizien geflohenen Juden empörten Gemüter zu beruhigen. Der Erlass verunsichert die Flüchtlinge zutiefst. Ebenfalls im September 1919 gibt Sever einen Erlass heraus, der das weitere Verbleiben der Flüchtlinge von einer Aufenthaltsbewilligung abhängig macht. Diese wird von den Behörden nur selten gewährt.
Während des Krieges sind etwa 20.000 jüdische Flüchtlinge aus dem damals österreichischen Galizien und Lodomerien nach Wien gekommen. In den ersten Nachkriegswochen schaffen auf der Flucht vor den Pogromen, die polnische und ukrainische Soldaten im besetzten Galizien anrichten, noch einmal 5.000 die Flucht nach Deutschösterreich. Allein in Lemberg, wo Offiziere das Judenviertel drei Tage zur Plünderung freigegebenhaben, werden 300 Menschen getötet und eine Unmenge Grausamkeiten verübt. Als die sozialdemokratische jüdische Partei Poale Zion die SDAP ersucht, zu einer Protestversammlung gegen diese Pogrome einen Redner zu schicken, lehnt der Parteivorstand das ab.
Am 10. September 1919 unterzeichnet Renner den Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye in Frankreich.
Am 4. Oktober 1919 schreibt die christlichsoziale Tageszeitung Reichspost, "Wir stehen vor einer neuerlichen Verkürzung der Brotration. Wir sollen unsere Frauen und Kinder hungern lassen, weil es den Ostjuden so gefällt und sie darauf bestehen, dass wir unsere letzte Brotkrume mit ihnen teilen". In mehreren Schriften kann man heute lesen, dass auch die Arbeiterzeitung verlangt habe, "dass Wien von dieser Belastung erleichtert werde". Der Chefredakteur der AZ, Friedrich Austerlitz war 1898 aus der jüdischen Kultusgemeinde ausgetreten.
Mit dem Ende der Monarchie haben "die Juden" den Monarchen als traditionellen "Schutzherrn" verloren. Die SDAP ist die einzige Partei in Österreich ohne rassistische Ziele, insbesondere ohne antisemitische Artikel in ihrem Parteiprogramm. Das heißt nicht, dass nicht einzelne Mitglieder, auch in der Parteielite, die antisemitischen Gefühle eines großen Teils der österreichischen Bevölkerung teilen. Man kann nur annehmen, dass Sever und seine Freunde in der Führung der SDAP und der niederösterreichischen Landesregierung gehofft haben, dass die jüdischen Flüchtlinge weiter ziehen, nach Deutschland, in die USA, wohin auch immer, und die so oder so schon als "Judenpartei und Flüchtlingsfreunde" verschrieene SDAP nicht weiter "belasten".
Aus der Angstmache und den verfügten Wegschaffungen wird aber nichts. Kein Land will die Flüchtlinge aufnehmen. Die neu gegründete Tschechoslowakei lehnt es ab, irgendjemand aufzunehmen. Die polnische Regierung beschwert sich beim Völkerbund. Das nährt die Furcht, die Siegermächte könnten, um Druck auf Österreich auszuüben, jede Hilfe einstellen. So endet der allen sozialdemokratischen Grundsätzen widersprechende Ausweisungsversuch Albert Severs, der, wie an manchen Stellen berichtet, auch von Renner und Reumann unterstützt worden ist.
Am 17. Oktober 1919 ratifiziert die Nationalversammlung den Friedensvertrag. Unmittelbar danach demissioniert das Kabinett Renner II noch in der Parlamentssitzung. Nach einer Sitzungsunterbrechung wählt die Nationalversammlung die Staatsregierung Renner III. Von diesem Tag an wird das als Staat Deutschösterreich gegründete Land vertragsgemäß als Republik Österreich bezeichnet. Die Regierung macht den Vertrag in einem Staatsgesetzblatt kund.
Der Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye ist einer der Verträge, die den Ersten Weltkrieg formal beenden und wird zwischen Österreich und 27 alliierten und assoziierten Mitgliedern abgeschlossen. Zu den Signatarmächten zählen neben Österreich die Siegermächte USA, Großbritannien mit seinen Dominions Irland, Kanada, Australien, Neuseeland und Indien, Frankreich, Italien, Japan sowie die assozierten Staaten Belgien, Bolivien, Brasilien, China, Kuba, Ecuador, Griechenland, Guatemala, Haiti, Hedschas, Honduras, Liberia, Nicaragua, Panama, Peru, Polen, Portugal, Rumänien, der SHS-Staat, Siam, die Tschechoslowakei und Uruguay. Das sind zugleich die Gründungsmitglieder des Völkerbundes.
Am 21. Oktober 1919 beschließt die KNV die durch den Friedensvertrag notwendig gewordenen Änderungen mit einem Gesetz über die Staatsform. In diesem Gesetz wird auch festgelegt, dass die Republik Österreich kein Rechtsnachfolger des ehemaligen Kaisertums Österreich ist. Die KNV und die großkoalitionäre Staatsregierung Renner III mit Jodok Fink von der CSP als Vizekanzler schaffen es endgültig, eine unblutige politische und soziale Revolution und eine weitgehende Entfeudalisierung des Landes durchzuführen und legen so die Basis für das heutige Österreich. Die Nationalversammlung verabschiedet in der Folge unter anderem auch Gesetze zum Achtstundentag, zur Gründung der Arbeiterkammer als gesetzlicher Interessenvertretung und ein Betriebsrätegesetz.
Vor allem Ignaz Seipel betreibt innerhalb der CSP eine Haltungsänderung in Richtung Auflösung der Großen Koalition von SDAP und CSP. Er lehnt die Sozialdemokratie noch mehr ab als den Deutschnationalismus und schließt hinter den Kulissen ein Bündnis mit deutschnationalen Politikern. In den parlamentarischen Verfassungsdebatten zeigt sich auch, dass sich Ignaz Seipel zwar mit Republik und Demokratie abgefunden hat, beiden aber nach wie vor eine deutliche Skepsis entgegenbringt.
Am 23. Oktober 1919 legt Johann Nepomuk Hauser die Führung des christlichsozialen Parlamentsklubs und 1920 das Obmannsamt der CSP nieder und zieht sich aus der Bundespolitik zurück. Er wird bis 1927 Landeshauptmann von Oberösterreich bleiben und nur noch bei der Demission der Regierung Seipel 1924 noch einmal eine Rolle in der Bundespolitik der CSP spielen.
Seipel unterstützt nun auch aktiv den Aufbau bewaffneter rechter Gruppierungen in Wien. Ab März 1020 ist er gemeinsam mit Offizieren, zivilen Monarchisten und Vertretern des rechten Flügels der Großdeutschen im Vorstand der Geheimorganisation "Vereinigung für Ordnung und Recht". Das erklärte Ziel dieser Vereinigung ist die gewaltsame Ausschaltung der SDAP.
Am am 16. November 1919 zieht der "Verteidigungsminister" der in Szeged gebildeten konservativen Gegenregierung, der k.uk. Vizeadmiral Miklós Horthy, in Budapest mit seiner "Nationalarmee" ein. Horthy hat im Frühjahr und Sommer in Kooperation mit den rumänischen Truppen einen Bürgerkrieg gegen die Räte-Regierung angeführt. Ehemalige Funktionäre, Anhänger und Sympathisanten der Räterepublik, aber auch zahllose Unbeteiligte, besonders Juden werden denunziert und zwischen Herbst 1919 und Winter 1920 während des sogenannten „Weißen Terrors“ von der Nationalarmee und mit ihr verbündeten irregulären bewaffneten Verbänden zum Teil bestialisch ermordet. Schätzungen der Opferzahlen dieses "weißen" Gegenterrors belaufen sich auf bis zu 5.000 Personen. Das alles bleibt Österreich vorläufig erspart. Die Frage, wie weit Horthy für den weißen Terror direkt verantwortlich ist, bleibt bis heute umstritten.
Am 1. März 1920 stellt die ungarische Nationalversammlung das Königreich Ungarn formell wieder her, kürt Horthy zum Reichsverweser (kormányzó) mit 131 von 141 Stimmen und macht ihn damit zum provisorischen Staatsoberhaupt. Ungarn wird auch nach der offiziellen Absetzung des Hauses Habsburg-Lothringen eine "Monarchie ohne König" bleiben. Horthy konsolidiert die Verwaltung und führt ein autoritäres Regierungssystem ein, bei dem die Bevölkerungsmehrheit von den Parlamentswahlen ausgeschlossen bleibt. Er nimmt selbst die Rolle eines starken Staatsoberhauptes ein, überlässt die Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt jedoch weitgehend den von ihm eingesetzten verschiedenen Ministerpräsidenten. Im Laufe der Jahre wird sich Ungarn unter Horthy ab 1932 immer mehr dem faschistischen Italien und dem Dritten Reich annähern.
Die autoritäre Elite Ungarns greift auf die alte Magyarisierungspolitik aus der letzten Zeit der Doppelmonarchie zurück und entwicket Konzept des "Volksnationalen", das den "authentischen" ungarischen Charakter betont als Staatsideologie. Liberalismus, Demokratie und Sozialismus werden als etwas "volksfremde" Ideen und Ursache aller Übel abgelehnt. Ein zentraler Punkt dieser in den konservativen Medien verbreiteten Ideologie ist, dass das ungarische Volk einen ganz spezifischen Charakter und eine ganz besondere ungarische Kultur besitze, die besonders die Juden gefährden und unterwandern sollen. Da viele Juden aktiv und an führender Stelle an Räterepublik 1919 beteiligt gewesen sind, finden besonders oft das Bild des "Judeobolschewismus", aber wie anderswo auch, ebenso das Bild vom "jüdischen Finanzhai" Anwendung.
Am 19. März 1920 lehnt der Kongress in Washington sowohl die Ratifikation der Verträge von St.Germain, Trianon und Versailles als auch den Beitritt der USA zum Völkerbund ab.
Am 28. Mai 1920 wird die Operette "Die blaue Mazur" von Franz Lehár am Theater an der Wien uraufgeführt.
Am 4. Juni 1920 wird Vertrag von Trianon zwischen den Siegermächten und dem wiederhergestellten Königreich Ungarn unterzeichnet. Alle erfolgten Sezessionen werden bestätigt. Ungarn muss mit dem Vertrag völkerrechtlich verbindlich zur Kenntnis nehmen, dass es 2 Drittel des Territoriums des historischen Königreichs verloren hat. Die ungarische Delegation unterschreibt den Vertrag unter Widerspruch und mit Vorbehalt.
Am 7. Juli 1920 kündigt Ignaz Seipel die Große Koalition auf und erzwingt eine Übergangs-Proporzregierung aller drei politischen Lager, die Staatsregierung Mayr I. Michael Mayr, der zuvor als Vertreter der CSP gemeinsam mit Karl Renner und Hans Kelsen das zukünftige Bundesverfassungsgesetz verhandelt und erarbeitet hat, folgt Renner als Staatskanzler. Renner behält in der neuen Regierung das Staatssekretariat für Äußeres. Vizekanzler wird nun der Staatssekretär für soziale Verwaltung, Ferdinand Hanusch von der SDAP.
Am 16. Juli 1920 tritt der Vertrag von St. Germain in Kraft.
Am 8. August 1920 entsteht in Salzburg aus der Großdeutschen Vereinigung, einem 1919 von Franz Dinghofer gegründeten Zusammenschluss deutschnational und deutschliberal gesinnter Abgeordneter die Großdeutsche Volkspartei (GdVP oder GdP), die bis zum Parteienverbot 1934 weiterbestehen wird. Ihr gehören im Lauf dieser Zeit bis zu 17 Gruppierungen an. Viele ihrer Mitglieder sind Beamte oder Lehrer höherer Schulen. 1921 - 1932 bleibt die GdVP fast immer, meist als Juniorpartner der CSP, an der Bundesregierung beteiligt, das erste Mal 1921 in der Regierung Schober. Sie stellt 1922–1927 unter den Bundeskanzlern Schober, Seipel und Ramek die Vizekanzler Frank, Waber und Dinghofer. Nach dem Verlust der Regierungsbeteiligung treten viele Mitglieder aus der Partei aus und wechseln zur Heimwehr und den Nationalsozialisten. 1933 wird die GdVP ein Bündnis mit der österreichischen NSDAP schließen, die liberalen Anteile des Programms gehen infolge der politischen Radikalisierung verloren.
Am 22. August 1920 markiert die Premiere des mittelalterlichen Mysterienspiels "Jedermann. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes" in einer Neufassung von Hugo von Hofmannsthal die Gründung der Salzburger Festspiele. Die beiden Gründer Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal sehen sich als süddeutsche Konkurrenz zum großen Nachbarn, zu Preußen und zu Bayreuth. "das, was in Bayreuth, gruppiert um ein norddeutsches Individuum, Wagner, geübt wird, hier um ein ungleich komplexeres und höheres Zentrum, die Kunst Österreichs, herumzubauen ..." schwärmt Hoffmannsthal. Ist Bayreuth einseitig und exklusiv, so will Salzburg inklusiv und vielseitig sein, mit Schauspiel, Oper und Konzert und nicht nur mit vielen verschiedenen Mitwirkenden sondern auch mit vielen verschiedenen Autoren und Komponisten arbeiten, allerdings praktisch nur mit approbierten Werken und Künstlern.
Der verlorene Weltkrieg, die verlorene mulitnationale Monarchie, die vorgestellte süddeutsche kulturelle Identität und der Tourismus sind die wesentlichen Faktoren in Hofmannsthals Denken. Er stellt sich den "theresianischen Menschen" als Miterben des Heiligen Römischen Reiches und der Donaumonarchie, als Vermittler zwischen den europäischen Völkern durch die Anwendung ritterlicher paneuropäischer Werte vor. Die Salzburger Festspiele sollen die österreichischen praktischen Prinzipien des "Leben und leben lassen!", die Kompromissfindung, die katholische Weltsicht zwischen irdischen Freuden und Gewissheit der Vergänglichkeit samt dem Stolz auf regionale Traditionen fördern und erhalten.
Am 1. Oktober 1920 beschließt und ratifiziert die KNV in ihrer letzten Sitzung die bis heute geltende Bundesverfassung. Sowohl, dass diese Bundesverfassung 1945 wieder in Kraft gesetzt werden konnte und sich bis heute, und das jüngste Beispiel zeigt das deutlich, bewährt hat, ebenso wie, dass der Nationalrat - abgezogen die 11-jährige Unterbrechung von 1934 bis 1945 - in den 100 Jahren von 1920 - 2020 mit 26 Gesetzgebungsperioden ausgekommen ist, stellt dieser Verfassung und ihren Schöpfern ein mehr als gutes Zeugnis aus. Hier müssen wir aber auch festhalten, dass sich zeigen wird, dass auch die eleganteste Verfassung, die nicht von geeigneten Menschen, die sie verinnerlicht haben, kompetent und entschlossen genutzt wird, alleine wenig zu tun vermag.
Am 17. Oktober 1920 findet die erste Nationalratswahl in der Geschichte Österreichs statt. In Kärnten wird die Wahl am 19. Juni 1921 nachgeholt, da erst am 10. Oktober 1920 die Volksabstimmung in Südkärnten, die über die Zugehörigkeit des bis dahin jugoslawisch besetzten Landesteils entscheidet, durchgeführt worden war. Im Burgenland, das erst im November 1921 an Österreich gelangte, wird die Wahl am 18. Juni 1922 nachgeholt. Die Stimmenverhältnisse zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen kehren sich 2 Jahre nach der Revolution in etwa um.
Die CSP unter der Führung von Michael Mayr erhält 41,79% der gültigen Stimmen und 85 von 183 Mandaten. Auf dem zweiten Platz landet die SDAP mit 35,99% der gültigen Stimmen und 69 Mandaten. Drittstärkste Kraft werden wieder die Deutschnationalen Parteien mit 17,25% und 28 Mandaten (GdVP 21 Mandate, Deutschösterreichische Bauernpartei 7 Mandate, Kärntner Bauernbund, Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei - DNSAP). Der Block Demokratischer Parteien (D) erhält 1,44% der Stimmen und 1 Mandat. Die Kommunisten erhalten 0,89% und gehen bei den Mandaten leer aus.
Am 22. Oktober 1920 tritt die SDAP unter Seitz’ Führung auf Betreiben Otto Bauers aus der Regierung aus, ihre Staatssekretäre legen die Ämter zurück. Die schon länger prekäre Zusammenarbeit von CSP und SDAP, zuerst in der Großen Koalition und dann in der Übergangs-Proporzregierung Mayr, wird nicht fortgesetzt. Die deutschnationalen Minister dagegen bleiben zunächst im Amt. Michael Mayr übernimmt auch das Außenministerium, Eduard Heinl, CSP wird Vizekanzler.
Am 10. November 1920 tritt die österreichische Bundesverfassung in Kraft. Der Nationalrat löst KNV ab. Die Staatsregierung Mayr I wird mit Inkraft-Treten des Bundes-Verfassungsgesetzes zur ersten Bundesregierung Österreichs. Ab diesem Tag ist auch die Funktionsbezeichnung Bundeskanzler gültig. Die christlichsozialen Bundeskanzler regieren Österreich in der Folge in wechselnden Koalitionen mit dem sogenannten dritten Lager. Der Nationalrat hat, wie heute, 183 Abgeordnete, die 1923 aber auf 165 reduziert werden. Er wird die ganze erste Republik hindurch die Bühne heftiger Auseinandersetzungen zwischen den konservativen Regierungen unter der Führung der CSP der oppositionellen SDAP sein.
Die neue Bundesverfassung der Republik definiert in ihren Artikeln 108–114 auch die neue die Funktion der Stadt Wien als eigenes Bundesland. Wien ist seither nicht mehr die Hauptstadt von Niederösterreich und damit Bestandteil dieses Landes. Die wichtigsten Motive für die Herauslösung Wiens aus Niederösterreich sind:
- Niederösterreich mit Wien ist den anderen Bundesländern (das Burgenland zählt noch nicht dazu) zu groß. Es stellt vor der Trennung rund die Hälfte aller Einwohner der Republik Österreich.
- Die Konservativen im ländlichen Raum wollen sich von der bei den Wahlen entstandenen "roten" Mehrheit im Landtag lösen, die einen sozialdemokratischen Landeshauptmann, Albert Sever, gewählt hat.
- Das mehrheitlich Rote Wien unter dem neuen Bürgermeister Jakob Reumann will nicht mehr politisch vom konservativen ländlichen Raum um Wien abhängig sein.
Die Bundesverfassung schreibt für die "vollständige Trennung", d.h. die Durchführung der Vermögensaufteilung, übereinstimmende Landesgesetze vor, legt dafür aber keinen Zeitrahmen fest. In allen anderen Angelegenheiten haben aber beide Landesteile sofort die Stellung eines selbstständigen Landes. Niederösterreich-Land hat nun einen Landtag ohne Wiener Abgeordnete und wählt einen neuen, wieder "schwarzen" Landeshauptmann.
In der bis Ende 1921 bestehenden gemeinsamen Verwaltungskommission, die die Trennungsagenden zu koordinieren hatte, führen der Wiener Bürgermeister Jakob Reumann und der Landeshauptmann von Niederösterreich, Johann Mayer, abwechselnd den Vorsitz.
In Wien ist Bürgermeister Reumann nun auch Landeshauptmann, der Stadtsenat auch Landesregierung, der Gemeinderat auch Landtag und der Magistratsdirektor auch Landesamtsdirektor. Wien beschließt am gleichen Tag auf Antrag der Stadtregierung als Ergänzung zu den Bestimmungen der Bundesverfassung eine eigene Wiener Stadtverfassung.
Am 20. November 1920 wird die Bundesregierung Mayr II vom Nationalrat mit 99 von 158 abgegebenen Stimmen gewählt. Das von der CSP gebildete Minderheitskabinett wird von der Großdeutschen Volkspartei und der Deutschösterreichischen Bauernpartei toleriert und bei Abstimmungen unterstützt.
Karl Seitz bleibt Parteivorsitzender und Parlamentsklubleiter der SDAP. Die führende Rolle in der SDAP bis zu ihrem Verbot 1934 und den größten Einfluss in der parlamentarischen oppositionellen Bundespolitik wird aber auf Dauer der Vizeparteivorsitzende Otto Bauer haben.
Am 30. November 1920 beschließt das Land Niederösterreich-Land, wie es bis 31. Dezember 1921 heißt, seine eigene Landesverfassung. Wie mit der Landesregierung von Wien vereinbart, verbleibt der Sitz von Landtag und Landesregierung in Wien. Die Schaffung einer eigenen niederösterreichischen Landeshauptstadt ist aus historischen, verkehrstechnischen und finanziellen Gründen völlig unrealistisch. Es wird bis 1984 dauern, bis diese Frage wieder ernsthaft aufgeworfen wird.
Am 9. Dezember 1920 wird Michael Hainisch auf Vorschlag der Christlichsozialen, die ihren eigenen Kandidaten Viktor Kienböck nicht durchgebracht hatten, von der Bundesversammlung (Nationalrat und Bundesrat in gemeinsamer Sitzung) zum ersten Bundespräsidenten der Republik Österreich gewählt und bleibt dies nach seiner Wiederwahl 1924 bis zum 10. Dezember 1928.
Hainisch war 1918 Generalrat der Österreichisch-ungarischen Bank, der Notenbank des noch im gleichen Jahr zerfallenden Österreich-Ungarn, gewesen. Seine Weltanschauung ist liberal, großdeutsch, demokratisch und reformerisch. Hainisch war Mitglied der 1893 gegründeten und 1901 aufgelösten Wiener Fabier Gesellschaft gewesen, bleibt aber trotz einer ideologischen Nähe zur Großdeutschen Volkspartei stets parteilos. Er ist der Sohn der österreichischen Frauenrechtlerin Marianne Hainisch, geb. Perger, die 1857 in die Industriellenfamilie Hainisch eingeheiratet hatte und mit ihrem Mann, Michael, auf der Liegenschaft der Baumwollspinnerei Aue bei Schottwien wohnt.
Das Bundespräsidentenamt ist noch nicht mit den Rechten ausgestattet, die ihm die Verfassungsnovelle 1929 übertragen wird. So wird die Bundesregierung während der gesamten Amtszeit Hainischs, wie seit 1949 der deutsche Bundeskanzler, vom Parlament gewählt und nicht, wie in Österreich seit 1930, vom Bundespräsidenten bestellt.
16. Dezember 1920 wird Österreich in den Völkerbund aufgenommen.
Am 25. Jänner 1921 regelt der österreichische Nationalrat in einem Bundesverfassungsgesetz "über die Stellung des Burgenlandes als selbständiges und gleichberechtigtes Land im Bund und über seine vorläufige Einrichtung" die Aufnahme des Burgenlands in die Republik Österreich. Im Burgenland ist die Forderung der Republik Österreich nach Aufnahme überwiegend deutschsprachiger Gebiete in sein Territorium erfolgreich verlaufen, weil der frühere Souverän und Konkurrent Ungarn im Gegensatz zu Italien, zur Tschechoslowakei und dem SHS-Staat zu den Verlierermächten gehört.
Am 24. April 1921 findet in Tirol eine Volksabstimmung über den Anschluss an das Deutsche Reich statt. 98,5% der gültigen Stimmen sind für den Anschluss Die Abstimmung hat keine Konsequenzen.
Am 29. Mai 1921 findet in Salzburg eine Volksabstimmung über den Anschluss an das Deutsche Reich statt. 99,5% der gültigen Stimmen sind für den Anschluss Die Abstimmung hat keine Konsequenzen.
Die erste und zweite Expertenregierung
Am 1. Juni 1921 tritt Bundeskanzler Mayr wegen einer in der Steiermark beabsichtigten Abstimmung über den Anschluss an Deutschland - die Regierung hatte sich im Vertrag von Saint-Germain 1919 verpflichtet, Österreich unabhängig zu erhalten - zurück. Er und seine Regierung werden von Bundespräsident Michael Hainisch mit der Fortführung der Geschäfte beauftragt und führen diese bis 21. Juni 1921.
Am 21. Juni 1921 wird die erste "Expertenregierung" von Österreich, die Bundesregierung Schober I, ein überwiegend aus Beamten bestehendes Kabinett von der CSP und von der GdVP mit 98 von 160 abgegebenen Stimmen gewählt und von Bundespräsident Hainisch angelobt. Der parteilose Präsident der Bundespolizeidirektion Wien Johann Schober wird Bundeskanzler. Die SDAP bleibt in der Opposition.
Am 13. Oktober 1921 unterzeichnet Schober, der zugleich Außenminister ist, das Protokoll von Venedig, mit dem die Durchführung einer Volksabstimmung über die Zugehörigkeit von Ödenburg (ungarisch Sopron) vereinbart wird.
Vom 14. bis 16. Dezember 1921 findet in Sopron (Ödenburg) eine Volksabstimmung über die zukünftige staatliche Zugehörigkeit statt. Die Stadt Sopron entscheidet sich für den Verbleib bei Ungarn.
Am 16. Dezember 1921 schließen Österreich und die Tschechoslowakei auf Schloß Lana bei Prag einen Staatsvertrag, in dem sich beide Republiken verpflichten, den Friedensvertrag loyal einzuhalten, ihre Grenzen gegenseitig anzuerkennen, einander gegen alle Pläne und Versuche einer Wiederherstellung des alten Regimes zu unterstützen, ihre Konflikte einvernehmlich, durch einen internationalen Gerichtshof oder notfalls durch ein Schiedsgericht zu entscheiden. Ebenso verpflichten sie sich, bei Konflikten des jeweils anderen mit Dritten, neutral zu bleiben. Österreich verzichtet darin implizit auch endgültig auf das Selbstbestimmungsrecht der Sudetendeutschen. Der Vertrag wird am 15. März 1922 in Kraft treten.
Dem Vertrag war ein Staatsbesuch von Bundespräsident Hainisch und Bundeskanzler Schober bei Beneš vorangegangen. In der Folge gewährt die Tschechoslowakei Österreich einen Kredit von 500 Millionen tschechischen Kronen und verspricht, Österreichs Bemühungen um Kredite der Alliierten Großbritannien und Frankreich zu unterstützen. Großbritannien wird Österreich im Februar tatsächlich einen Kredit in der Höhe von 2 Millionen Pfund Sterling gewähren. Auch Frankreich und Italien stellen Kredite in Aussicht. Die Großdeutschen lehnen den Lanaer Vertrag vehement ab.
Am 1. Jänner 1922 treten 2 übereinstimmende Trennungsgesetze der beiden österreichischen Bundesländer Wien und Niederösterreich in Kraft, die die beiden Landtage am 29. Dezember 1921 beschlossen haben. Mit ihnen wird die Vermögensaufteilung zwischen Wien und Niederösterreich abgeschlossen.
Am 16. Jänner 1922 tritt der Vertreter der großdeutsche Volkspartei Leopold Waber, Bundesminister für Inneres und Unterricht, aus der Regierung aus. Die GDVP begibt sich in Opposition.
Am 26. Jänner 1922 reichen Schober als Bundeskanzler und die gesamte Bundesregierung ihren Rücktritt ein. Bundespräsident Hainisch beauftragt die Regierung gemäß Artikel 71 der Verfassung von 1920 mit der Fortführung der Verwaltung, der bisherige Vizekanzler, Kultusminister Walter Breisky, CSP, wird mit der Leitung der einstweiligen Bundesregierung betraut. Das Kabinett Breisky bleibt lediglich einen Tag im Amt.
Am 27. Jänner 1922 wird die Bundesregierung Schober II mit 80 von 152 abgegebenen Stimmen , also deutlich geringerer Mehrheit als zuvor, vom Nationalrat gewählt und vom Bundespräsidenten angelobt. Die geschwächte Bundesregierung wird von der Großdeutschen Volkspartei nur noch toleriert, weil, wie immer wieder betont wird, Schober vor dem Abschluss des Lanaer Vertrages mit der Großdeutschen Volkspartei nicht einmal das Gespräch gesucht habe.
Am 16. März 1922 beschließen die sozialdemokratischen Abgeordneten im Nationalrat eine Resolution, in der sie sich bereit erklären, die Regierung zu unterstützen, falls diese weitere finanzpolitische Maßnahmen zur Stabilisierung des Haushalts mit der sozialdemokratischen Fraktion abstimmen würde. Die Regierung nimmt dieses Angebot nicht an und macht auch sonst keinen Versuch, sich mit der SAPD zu verständigen.
Am 29. Mai 1922 tritt die Bundesregierung Schober II zurück und wird von Bundespräsident Michael Hainisch wiederum mit der Fortführung der Geschäfte beauftragt und übt diese einen weiteren Tag aus.
Am 31. Mai 1922 wird die Bundesregierung Seipel I, die erste christlichsozial-großdeutsche Regierung Österreichs mit 101 von 159 abgegebenen Stimmen bei 58 Nein-Stimmen der SDAP vom Nationalrat gewählt. Ignaz Seipel, seit 1921 Obmann und der CSP hatte alle innerparteilichen Gegner überwinden können und die von ihm seit mehr als 2 Jahren angestrebte Koalition mit dem nationalliberalen Lager formalisieren können und übernimmt nun selbst das Amt des Bundeskanzlers.
Seipel denkt nun auch öffentlich über eine Verfassungsänderung nach. Die Überlegungen gehen in Richtung einer Schwächung des Parlaments zugunsten eines mit viel umfassenderen Befugnissen ausgestatteten Bundespräsidenten.
Am 1. Juni 1924 tritt Ignaz Seipel nach heftiger Kritik aus seiner eigenen Partei (siehe weiter oben bei Hauser) und einem Attentat als Bundeskanzler zurück, bleibt aber Klubobmann der CSP-Fraktion im Nationalrat. Der Attentäter Karl Jaworek hat Seipel für seine persönliche Armut verantwortlich gemacht und auf einem Bahnsteig des Südbahnhofs aus nächster Nähe auf den gerade ankommenden Kanzler geschossen. Er wird später zu fünf Jahren schweren Kerkers verurteilt.
Seipel hat zuvor mit Hilfe einer Völkerbundanleihe (Genfer Protokolle) die Staatsfinanzen und die erst nach seinem Rücktritt beschlossene Einführung der Schillingwährung 1925 vorbereitet. Seine Wirtschaftpolitik had zu einem starken Rückgang des Realeinkommens der unbegüterten Bevölkerung und einem starken Ansteigen der Arbeitslosenquote geführt.
Von 1926 bis 1929 wird Seipel wieder Bundeskanzler der Republik Österreich sein. Persönlich von "integrem Charakter und ein fleißiger selbstloser Arbeiter", wie sein politischer Gegner Theodor Körner in einem Artikel schreibt, ist er dennoch als Politiker auf der anderen Seite recht skrupellos. Er fördert in seinem Umfeld auch antidemokratische Grundhaltungen und stärkt mehr und mehr die antisemitische und antidemokratische Heimwehr. Bis zu seinem Tod wird er der wichigste Fürsprecher dieser Organisation bleiben.
Am 24. April 1927 findet die dritte Nationalratswahl in der Geschichte der Republik Österreich statt. Wahlsiegerin ist eine "antimarxistische" Einheitsliste aus CSP, GdVP, dem Wiener Landbund und der nationalsozialistischen Riehl- und Schulz-Gruppe unter Bundeskanzler Ignaz Seipel mit 48,20% der Stimmen und 85 Mandaten. Die SDAP gewinnt dazu, erhält 42,31% der Stimmen und 71 Mandate und bleibt damit zweitstärkste Fraktion im Nationalrat. Der Landbund, der in allen Bundesländern außer Wien kandidiert, schafft auch den Einzug in den Nationalrat und erhält 6,33% der Stimmen und 9 Mandate. Ignaz Seipel bleibt Bundeskanzler.
Am 14. Juli 1927 verbreitet sich am Abend die Nachricht über das "Schattendorfer Urteil", mit dem ein Geschworenengericht drei Mitglieder der "Frontkämpfervereinigung Deutsch-Österreichs" freigesprochen hatte, die im burgenländischen Schattendorf bei einem Zusammenstoß mit Sozialdemokraten zwei Menschen erschossen hatten, nämlich einen 40-jährigen kroatischen Hilfsarbeiter und ein 6-jähriges Kind.
Am 15. Juli 1927 folgen große Demonstrationen vor dem Justizpalast. Johann Schober, der seit seinem Rücktritt wieder Polizeipräsident in Wien ist, ersucht Bürgermeister Karl Seitz, das Bundesheer gegen die "Unruhen" einzusetzen, da die Polizei für derartige Aufgaben nicht gerüstet sei. Seitz verweigert den Einsatz des Heeres, ebenso wie Heeresminister Carl Vaugoin.
Daher fordert Schober, als die erregte Menge beginnt, in den Justizpalast einzudringen, Gewehre aus Heeresbeständen an und rüstet die Polizei damit aus. In der Zwischenzeit legt ein Unbekannter Feuer im Justizpalast. Schober kündigt an, bei weiterer Behinderung der Feuerwehr, welcher zuvor der Zugang zum Gebäude verwehrt worden ist, und deren Schläuche immer wieder durchschnitten worden sind, den Platz mit Waffengewalt räumen zu lassen. Der Wiener Bürgermeister Karl Seitz versucht ebenso erfolglos wie Theodor Körner die Menge zum Abzug zu bewegen. Körner kann eine Reihe von eingeschlossenen Polizisten trickreich unerkannt aus dem Gebäude führen und retten.
Der Tag endet nach Polizeiangaben mit 89 toten Demonstranten, vier toten Sicherheitswachbeamten und einem toten Kriminalbeamten. 120 Polizisten erleiden schwere, 480 leichte Verletzungen, während 548 Zivilisten Verwundungen erleiden. Die Folgen werden von der Regierung Seipel als unvermeidlich und von Gegnern wie Karl Kraus (Plakattext: "Ich fordere Sie auf, abzutreten.") als unverzeihlich betrachtet. Das in der Folge völlig vergiftete politische Klima ist nach allgemeiner Ansicht ein erster Schritt in den austrofaschistischen Staatsstreich und den "Bürgerkrieg" von 1934, die die Demokratie in Österreich gegenüber dem Nationalsozialismus letztendlich hilflos machen und sie für 11 Jahre zerstören werden.
Am 26. Juli 1927 erklärt Bundeskanzler Seipel vor dem Nationalrat: "Verlangen Sie nichts vom Parlament und von der Regierung, das den Opfern und den Schuldigen an den Unglückstagen gegenüber milde erscheint, aber grausam wäre gegenüber der verwundeten Republik." Seipels Erklärung folgt eine kontroversielle und heftige Parlamentsdebatte. Die oppositionelle SAPD greift die Formulierung auf, verknüpft sie mit der Kritik am beschriebenen Polizeieinsatz, den allerdings weniger Seipel als vielmehr der Ex-Kanzler und nun wieder Polizeipräsident Schober zu verantworten hat. In der Folge wird Seipel in den oppositionellen Medien häufig "Prälat ohne Milde" und sogar "Blutprälat" genannt. Was Seipel mit "grausam gegenüber der verwundeten Republik" gemeint hat, ist bis heute weniger klar.
1927 ist auch das Jahr, im dem der Industriellensprössling Bruno Kreisky vom Verband Sozialistischer Mittelschüler zur Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) wechselt.
Am 10. Dezember 1928 wird Wilhelm Miklas, CSP, von der Bundesversammlung als Nachfolger von Michael Hainisch zum zweiten Bundespräsidenten Österreichs gewählt. Zuvor war Miklas von 1923 bis 1928 Präsident des Nationalrates gewesen.
Am 4. April 1929 tritt Ignaz Seipel als Bundeskanzler zurück und führt die Geschäfte noch bis 4. Mai 1929 weiter. Ernst Streeruwitz folgt ihm als Regierungschef nach. Insgesamt sind fünf Bundesregierungen der Ersten Republik unter Seipels Leitung gestanden. Seipel bleibt aber vorerst Clubobmann der CSP.
Mit der Regierungsform der parlamentarischen Demokratie ist Seipel nie glücklich gewesen. Er ist der Motor hinter der geplanten Stärkung der Rolle des Bundespräsidenten, wie sie erst nach seinem Rücktritt beschlossen werden wird und die er selbst noch mit der SDAP ausgehandelt hat. Vermutlich sieht er die ganze Zeit sich selbst als künftigen Träger des Amtes. Darüber hinaus propagiert er immer wieder unter dem politischen Schlagwort der „wahren Demokratie“ eine Säuberung des Systems vom "Übel der Parteinherrschaft", was konkret das "Übel der Parlamentsherrschaft" meint.
Man kann sich die Art paternalistische Demokratie vorstellen, die Seipel anstrebt, wenn man die von ihm selbst publizierten Worte aus einer Rede, die er in Tübingen gehalten hat, liest:
"Ich selbst messe der bloßen Reform des Wahlrechts und der Wahlordnung keine allzu große Bedeutung bei; ich sehe die Wurzel des Übels in der Art der Parteienherrschaft, wie sie sich in den Zeiten der konstitutionellen Monarchie entwickelt hat und nach dem Wegfall der monarchischen Korrektur ungehemmt in die Halme geschossen ist. Nach meiner Ansicht rettet jener die Demokratie, der sie von der der Parteienherrschaft reinigt und dadurch erst wieder herstellt."
Streeruwitz, ein studierter Maschinenbauer, im ersten Weltkrieg Offizier, bis zur Aufhebung des Adels 1919 Ritter von Streeruwitz und danach Industriemanager, ist von 1923 bis 1934 für die CSP Abgeordneter zum Nationalrat, er bleibt nur wenige Monate im Bundeskanzleramt. Er wird später ein Befürworter des autoritären Ständestaates und auch des "Anschlusses Österreich" an das Deutsche Reich sein.
Ernst Streeruwitz hat ein "Bankhaftungsgesetz" entworfen und im Nationalrat durchgebracht. Er hat auch als Regierungsbevollmächtigter anlässlich des Zusammenbruches der Zentralbank deutscher Sparkassen in der Republik Österreich fungiert und als solcher den "Run" auf die Zentralbank beenden können, wodurch die Reserven einer großen Anzahl von Spar- und Genossenschaftskassen gerettet worden sind. Nachdem er die Reorganisation der Landeshypothekenbank für Niederösterreich als Oberkurator erledigt hat, wird auf seinen Antrag hin auch eine Landeshypothekenanstalt für das Burgenland errichtet.
Im September 1929 leitet Streeruwitz in Genf die Verhandlungen zur Befreiung der Republik Österreich von den Reparationsverpflichtungen aus dem Ersten Weltkrieg. In der Zwischenzeit spitzen sich in Wien die innenpolitischen Verhältnisse, v.a. durch die fortlaufende Stärkung der Heimwehr, deutlich zu.
Am 1. Juli 1929 stirbt Jodok Fink in Andelsbuch. Er hat fast die ganzen 20er Jahre hindurch als Clubobmann der CSP im Nationalrat mit an den Fäden der Republik gezogen und gilt bis zu seinem Tod als "Ministermacher" und "Brückenbauer" über die ideologischen Grenzen hinweg.
Die dritte Expertenregierung
Am 25. September 1929 tritt Bundeskanzler Streeruwitz, ausgelöst durch die Rücktrittsankündigung seines Finanzministers Dr. Mittelberger, als Bundeskanzler zurück und schlägt den früheren Bundeskanzler Schober als seinen Nachfolger vor. Streeruwitz hat zuvor eine umfassende Verfassungsreform zur Entspannung der Lage geplant, sich aber plötzlich vor Schwierigkeiten gestellt gesehen, die er mit seinem Kabinett nicht mehr lösen zu können glaubt.
Am 26. September 1929 wird Schober zum 3. Mal Bundeskanzler und bildet eine Regierung mit parteilosen, christlichsozialen, großdeutschen Ministern auf der Basis einer "Bürgerblock"-Koalition aus CSP, GdVP und LBd (Landbund für Österreich).
Im Herbstsemester 1929 beginnt Bruno Kreisky an der Universität Wien das Studium der Rechtswissenschaften. Er hat ursprünglich Medizin studieren wollen. Otto Bauer, den Kreisky im gleichen Jahr kennenlernt, überzeugt ihn jedoch mit den Worten: "Die Partei braucht gute Juristen." Kreisky wird während der Februarkämpfe 1934 gegen die autoritäre Regierung Dollfuß an der Verteilung von Propagandamaterial beteiligt sein.
Am 7. Dezember 1929 wird vom Parlament einstimmig eine schon länger verhandelte Verfassungsreform beschlossen, durch die der Bundespräsident mehr Rechte erhält. Seither wird der Bundeskanzler nicht mehr vom Nationalrat gewählt, sondern vom Bundespräsidenten mit der Regierungsbildung beauftragt und bei Erfolg zum Bundeskanzler ernannt. Dieser Ernennungsmacht steht gegenüber, dass der Nationalrat den Bundeskanzler durch ein Misstrauensvotum abberufen kann. Bundespräsident Miklas wird bis zum Ende seiner Amtszeit (1938) mit den neuen Machtmitteln nicht viel anfangen.
Am 20. Jänner 1930 beendet Johand Schober in Genf die von Bundeskanzler Streeruwitz begonnenen Verhandlungen über die Österreich auferlegten Reparationszahlungen erfolgreich.
Am 6. Februar 1930 unterzeichnet er einen Freundschaftsvertrag zwischen Österreich und dem faschistischen Italien und schließt in der Folge ein Handelsabkommen mit dem noch demokratischen Deutschen Reich.
Im April 1930 tritt General Theodor Körner, der spätere Bürgermeister von Wien und Bundespräsident, formell aus dem Republikanischen Schutzbund aus, nachdem er zuvor einen langdauernden Richtungsstreit über die Ausrichtung der Organisation verloren hatte. Körner wollte den Schutzbund, vereinfacht gesagt, als politische Organisation mit einer, für den äußersten Notfall vorgesehenen Guerillataktik, seine anderern Führer, Deutsch und Eifler, ihn mehr als militärischen Arm der Arbeiterbewegung mit Paraden und militärischem Pomp sehen.
"Ich war absolut", wird Körner rückblickend feststellen, "gegen das ganze geschlossene Exerzieren, die ständigen Bereitschaften in den Arbeiterheimen, gegen die Terrainübungen und das ganze bombastische Getue, das die Bürgerlichen erschreckte. Es war doch ganz selbstverständlich, dass demgegenüber die Staatsgewalt sich vorbereitete und zuletzt auch die Heimwehr zur Notpolizei machte."
Am 25. September 1930 zwingt der Rücktritt des christlichsozialen Vizekanzlers Carl Vaugoin im Zuge der Strafella-Affäre um die Besetzung des Generaldirektors der ÖBB Schober, mit seiner Regierung zu demissionieren. GdVP und Landbund glauben, der rechte Flügel der CSP um Ignaz Seipel, Viktor Kienböck und Richard Schmitz hätte leichtfertig eine Regierungskrise herbeigeführt, um eine Umbildung der Regierung ohne Schober zu erreichen. Sie erklären daher den Koalitionspakt für gebrochen und stehen für keine neue Koalition zur Verfügung.
Am 30. September 1930 bildet Carl Vaugoin eine Minderheitsregierung der CSP, die aber schon in ihrer ersten Sitzung beschließt, einem drohenden Misstrauensvotum zuvor zu kommen und Bundespräsident Wilhelm Miklas die Auflösung des Nationalrats vorzuschlagen. Die Regierung Vaugoin führt die Geschäfte noch bis 4. Dezember.
Kein Experte mehr
Am 1. Oktober 1930 löst Präsident Miklas den Nationalrat auf, die Nationalratswahlen werden für den 9. November angesetzt.
Am 9. November 1930 wird die SDAP wird bei der Nationalratswahl, der letzten demokratischen Wahl der Zwischenkriegszeit, mit 72 von 165 Mandaten und 41,14% der gültigen Stimmen noch einmal in der 1. Republik stimmen- und mandatsstärkste Partei. Die CPS verliert 12,55 Prozentpunkte und kommt auf 35,65% der Stimmen und 66 Mandate. GdP und LB haben gemeinsam kandidiert, gewinnen 5,50 Prozentpunkte dazu und erhalten 12,80% der Stimmen und 19 Mandate. Der Heimatblock kandidiert erstmals und erreicht 6,17% und 8 Mandate. Die NSDAP verfehlt mit 3,03% der Stimmen den Einzug ins Parlament. Die KPÖ und andere Splitterparteien haben keine Bedeutung.
Die CSP hat vor der Wahl in Wien, Niederösterreich und Teilen des Burgenlands eine Wahlpartei mit den dortigen Heimwehrlandesorganisationen um deren Landesführer Emil Fey, Julius Raab und Michael Vas gebildet. Die GdVP ist unter dem Listennamen Nationaler Wirtschaftsblock mit dem Landbund eine Wahlallianz eingegangen. Johann Schober hat seinen "Expertenstatus" hinter sich gelassen und tritt als Listenführer der Wahlallianz, die dewswegen auch Schober-Block genannt wird, an. Die restliche Heimwehr hat mit dem Heimatblock binnen kürzester Zeit eine eigene politische Partei aus dem Boden gestampft.
Am 4. Dezember 1930 wird Otto Ender, der einzige Vorarlberger bis heute, als Bundeskanzler der Republik Österreich angelobt. Ender ist zuvor Landeshauptmann in seinem Heimatland gewesen und hat dort 1926 trotz eines Zenzurverbots in der österreichischen Bundesverfassung 1926 widerrechtlich die Aufführung des Films Panzerkreuzer Potemkin verhindert. Zuvor hatte die CSP mit der GdVP und dem Landbund wieder eine Koalition gebildet, um weiterhin die Regierung stellen zu können. Johann Schober ist in der Bundesregierung Ender Vizekanzler und Außenminister.
Im Laufe des Jahres 1931 tritt Bruno Kreisky im Alter von 20 Jahren aus der Israelitischen Kultusgemeinde aus. Nach dem 2. Weltkrieg wird Kreisky sich oft als Agnostiker bezeichnen.
Vizekanzler Schober beginnt im März 1931, mit dem deutschen Außenminister Julius Curtius geheime Verhandlungen über eine Zollunion zu führen.
Am 17. März 1931 bringt die Neuen Freien Presse eine Meldung zur Unterzeichnung des ausgehandelten Vertrags über eine Zollunion zwischen der Republik Österreich und dem deutschen Reich. Frankreich, Italien und die Tschechoslowakei legen Proteste gegen den Vertrag ein.
Am 18. März 1931 wird Engelbert Dollfuß, der nie als Abgeordneter in den Nationalrat gewählt worden ist, von Bundeskanzler Ender als Nachfolger für den bisherigen Landwirtschaftsminister Andreas Thaler in sein Kabinett geholt und als Minister angelobt.
Engelbert Dollfuß ist Mitglied der K.Ö.H.V. Franco-Bavaria Wien, die während seines Studiums noch im Cartellverband (CV) organisiert ist. 1919 ist Dollfuß Mitbegründer der Deutschen Studentenschaft in Wien gewesen. Die Mitgliedschaft im Cartellverband prägte Dollfuß’ politische Orientierung. Als Führer der Vaterländischen Front wird Dollfuß wichtige Ämter bevorzugt mit Mitgliedern des CV besetzen. 1920 hat Dollfuß als Vertreter der Franco-Bavaria auf der Generalversammlung des CV den, in der folgenden Abstimmung abgelehnten, Antrag gestellt, dass Mitglieder aller CV-Verbindungen „deutsch-arischer Abstammung, nachweisbar bis auf die Großeltern“ sein müssen, also bis zur Generation der Großeltern keine jüdischen Vorfahren haben dürften.
Am 19. März 1931 wird der Zollunions-Vertrag mit dem Deutschen Reich trotz der Proteste unterzeichnet, aber nie ratifiziert.
Am 16. Juni 1931 ist die Amtsperiode der Bundesregierung Ender schon wieder Geschichte. Die Regierungskoalition ist wegen des Zusammenbruchs der Creditanstalt, der damals größten Bank Österreichs auseiandergebrochen. Mit den ersten beiden sogenannten Credit-Anstalt-Gesetzen hat die Republik die Haftung für diverse Verbindlichkeiten der Creditanstalt übernommen. Ender hat für die Lösung der Krise eine Reihe von Sondervollmachten verlangt, die ihm ein autoritäres Regieren ermöglichen sollen. Der Nationalrat hat ihm die Vollmachten aber nicht gewährt. Nach seinem Rücktritt wird Ender noch 3 Jahre, vom 14. Juli 1931 bis 24. Juli 1934, wiederum als Landeshauptmann von Vorarlberg amtieren.
Am 20. Juni 1931 wird die Bundesregierung Buresch angelobt. Schober ist wieder Vizekanzler und Außenminister. Die Angriffe aus der CSP auf seine Person werden aber immer stärker. Engelbert Dollfuß bleibt in dieser Regierung Landwirtschaftsminister. Karl Buresch ist zuvor Landeshauptmann von Niederösterreich gewesen.
Am 3. September 1931 erklärt Außenminister Schober vor dem Völkerbund in Genf, die Zollunion sei ungültig und werde nicht mehr weiter verfolgt.
Am 27. Jänner 1932 tritt Johann Schober mit der GdVP aus der Koalitionsregierung Buresch aus.
Am 24. April 1932 verlieren GdVP, Landbund und Heimatblock bei verschiedenen Landtagswahlen fast alle Stimmen an die österreichische NSDAP und erreichen in den Landtagen keine Mandate mehr.
Am 28. April 1932 stellt die SDAP im Parlament einen Antrag auf Auflösung des Nationalrats, was bei Erfolg Neuwahlen bedeuten würde. Dem kommt die Regierung Buresch durch Rücktritt zuvor.
Am 10. Mai 1932 wird Engelbert Dollfuß von Bundespräsident Wilhelm Miklas mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt.
Dollfuß macht nun sowohl dem Schoberblock als auch der SDAP Koalitionsangebote. Schober lehnt ab. Seine politische Karriere ist damit zu Ende. Auch die SDAP lehnt eine Koalition ohne Neuwahlen ab und bleibt bei ihrer bestehenden Forderung nach solchen.
Am 20. Mai 1932 bildet Dollfuß, um Neuwahlen zu verhindern, eine Koalition mit dem Landbund und dem Heimatblock. Zusammen verfügen CSP, LB und HB über 83 von 165 Stimmen im Nationalrat. Dollfuß übernimmt neben dem Kanzleramt das Außenministerium und behält auch das Landwirtschaftsministerium. Dollfuß wird auch als Bundeskanzler nicht Mitglied der Bundesleitung der CSP.
Am 2. August 1932 stirbt Ignaz Seipel im Sanatorium Wienerwald. Seine Gesundheit war durch eine Diabetes und die Folgen des Attentats von 1924 sehr geschwächt gewesen.
Am 3. August 1932 widmet Otto Bauer ihm einen Nachruf in der Arbeiter-Zeitung, in welchem er Seipel eine "ehrliche innere Überzeugung" bescheinigt:
"Er hat uns mit allen Mitteln und allen Waffen bekämpft, wir ihn auch. Daß er kein Mann des Kompromisses, sondern ein Mann war, der sich nur im rücksichtslosen Kampf wohl fühlte, mag oft, mag insbesondere in den Jahren seit 1927, eine Quelle des Unglücks für das Land gewesen sein; aber wer selbst ein Kämpfer ist, der wird auch die echte Kämpfernatur im Lager des Gegners die menschliche Achtung nicht versagen. Nun ist er tot; die bürgerlichen Parteien haben keine Persönlichkeit, die sich über die Mittelmäßigkeit erhöbe. An seiner Bahre können auch wir von ihm sagen: er war ein Mann, nehmt alles nur in allem. Der Soldat verweigert dem gefallenen Feind die letzten militärischen Ehren nicht. So schicken wir auch dem großen Gegner drei Salven über die Bahre."
Die Parteibasis der SAPD nimmt den Nachruf mit großem Unverständnis auf. Bauer sieht sich veranlasst, in einem weiteren Artikel auf die Unterschiede zwischen "Gefühlssozialisten und geschulten Marxisten" hinzuweisen. Während der Gefühlssozialist den Kapitalisten und die Wortführer der kapitalistischen Welt hasse, begreife der Marxist seine Gegner als Geschöpfe einer feindlichen Gesellschaftsordnung. Seipel "ist uns, eben weil wir Marxisten sind, deshalb, weil er uns bekämpft hat und wir ihn bekämpft haben, nicht ein Bösewicht, sondern das Geschöpf der Verhältnisse, das er sozial bleibt, so sehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag."
Jahrzehnte später sollte Bruno Kreisky in seiner Autobiographie bezüglich des Verhältnisses Seipel-Bauer die SAPD heftig kritisieren. Seipel und Dollfuß hätten 1931 und 1932 der SAPD Koalitionsangebote gemacht, die Bauer, ihr führender Kopf aber mit Zustimmung von Seitz und Renner abgelehnt habe, was ein schwerer Fehler gewesen sei. Nach Kreiskys Meinung sei das die letzte Chance zur Rettung der Demokratie in Österreich gewesen. Aus heutiger Sicht hat man den Eindruck, dass die SPÖ aus dieser Einschätzung Kreiskys nur die Lektion gezogen hat, man müsse nach jeder Wahl eine Regierungsbeteiligung anstreben und, wenn möglich, unbedingt in eine Koalition eintreten.
Am 19. August 1932 stirbt Johann Schober in Baden bei Wien im Alter von nur 57 Jahren. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof in Perg im oberösterreichischen Mühlviertel.
Die Zerstörung der Demokratie
Am 4. März 1933 löst der Rücktritt aller drei Nationalratspräsidenten eine parlamentarische Geschäftsordnungskrise aus. Der christlichsoziale Kanzler Engelbert Dollfuß nutzt sie zu einem Staatsstreich. Die Regierungspropaganda spricht von der „Selbstausschaltung des Parlaments“, in Wirklichkeit tut Dollfuß aber alles, um dessen Wiederzusammentreten zu verhindern.
Nun zeigt sich, dass die Verfassung von 1920 mit der Novelle von 1929, die dem Bundespräsidenten die Stärkung durch Volkswahl und viele neue Befugnisse beschert hat, für sich genommen ohne die richtige Person in diesem Amt, ohne die verbindliche innere Befürwortung durch die große Mehrheit der politischen Elite und ohne die Kompetenz der Parteiführungen, die Verfassung intelligent zu handhaben, nicht viel bewirken kann.
Bundespräsident Miklas unterlässt es, von der Bundesregierung den nötigen Vorschlag zur Auflösung des Nationalrates und zu Neuwahlen einzufordern oder aber die untätige Regierung durch eine neue verfassungstreue zu ersetzen, was ihm nach der Verfassungsnovelle von 1929 leicht möglich wäre. Er beruft weder den Nationalrat trotz schriftlicher Aufforderung durch die Opposition wieder ein, noch setzt er sonst den verfassungswidrigen Aktionen der Regierung irgendetwas entgegen.
Er unterlässt es auch, von der Regierung die gesetzlich vorgeschriebenen Vorschläge zur Besetzung vakanter Richterposten im Verfassungsgerichtshof einzufordern. Er ist damit hauptverantwortlich für die Lahmlegung einer weiteren Verfassungsinstanz. In sein Tagebuch allerdings schreibt er: "Ist das noch ein Rechtsstaat? Nach der Zerstörung des Parlaments jetzt auch noch die Zerstörung des Verfassungsgerichtshofs. Das soll ein katholisches Gewissen aushalten!"
Dollfuß beruft im September 1933 den früheren Kanzler Ender als Bundesminister im Bundeskanzleramt und ohne Portefeuille in sein Kabinett. Ender erhält den Auftrag, eine neue Verfassung auszuarbeiten. Er bleibt gleichzeitig Landeshauptmann und pendelt regelmäßig zwischen Bregenz und Wien.
Am 10. Februar 1934 zerschlägt die Regierung Dollfuß den Republikanischen Schutzbund zuerst in Linz, dann in Wien und in ganz Österreich. Sie errichtet die austrofaschistische Diktatur und verbietet alle Parteien.
Am 12. Februar 1934 wird das Standrecht per Notverordnung auch für den Tatbestand des "Aufruhrs" verkündet, so dass Schutzbündler, die bewaffnet gefangen genommen werden, durch Standgerichte zum Tode verurteilt werden können. Der deutsche Politikwissenschaftler Everhard Holtmann kritisiert in seiner Darstellung diese Standgerichtsbarkeit: ""Im Verfahren gegen Emmerich Sailer, Josef Kastinger und drei weitere Schutzbündler aus Wien-Margareten habe sich das Standgericht beispielsweise auf die polizeilichen Angaben gestützt, obwohl die Angeklagten davon berichten, dass ihre 'Geständnisse' gewaltsam erzwungen worden sind." Holtmann sieht in den Sprüchen der involvierten Richter wie z.B. in den Todesurteilen gegen Sailer und Kastinger "nicht etwa nur simple prozessurale Fahrlässigkeit, sondern Voreingenommenheit und eine über die institutionalisierten Unterdrückungsmechanismen hinausweisende, subjektive Bereitschaft, dem Regime bei der gewaltsamen und rechtswidrigen Ausschaltung der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung mittels tendenziöser Rechtsprechung zu assistieren".
Insgesamt verurteilen die Standgerichte 24 Personen zum Tode, von denen 15 später begnadigt werden. 9 Personen, teils prominente Schutzbündler, werden hingerichtet.
Am 12. Februar 1934 flüchten viele Führungspersonen von SAPD und Republikanischem Schutzbund, u.a. Otto Bauer und Julius Deutsch, in die Tschechoslowakei, was von den Vertretern des Ständestaates propagandistisch ausgewertet wird, aber auch so bei den zurückgebliebenen Mitgliedern der SAPD für eine große Enttäuschung sorgt und den Ruf v.a. Bauers und Deutschs sehr schadet. Bauer sollte den Krieg nicht überleben, Deutsch schon, dafür aber nach dem 2. Weltkrieg trotz seiner Rückkehr aus dem Exil keine wichtige politische Rolle mehr spielen können. Auch die geistige Verarbeitung dieser Flucht trägt sicher antisemitische Züge, da die "Verurteilung" Bauers und Deutschs und ihrer Politik sich ganz einfach auf antisemitische Vorurteile stützen kann. Danach ist die Opposition größtenteils ausgeschaltet und der Weg frei zur offiziellen Errichtung des Ständestaats.
Am 18. Februar 1934 nimmt Bruno Kreisky, der nicht geflohen ist, an einem Treffen ehemaliger SAJ-Funktionäre im Wienerwald teil, wo die Revolutionäre Sozialistische Jugend (RSJ) unter der Leitung von Roman Felleis und Kreisky gegründet wird. Kreisky nimmt auch mehrfach an Treffen der nun illegalen SDAP in der Tschechoslowakei teil.
Am 1. Mai 1934 tritt die neue autoritäre Verfassung, die sogenannte Maiverfassung in Kraft und aus der Republik Österreich wird der Bundesstaat Österreich. Alle Parteien außer der Vaterländischen Front (VF) als Einheitspartei werden verboten, sodass alle folgenden Regierungen formal VF-Regierungen sind. Der federführende Autor der Verfassung, Otto Ender bezeichnet die Inkraftsetzung seines Entwurfs als "Verfassungsbruch", lässt sich aber gerne für den Verfassungsbruch mit der Rechnungshofpräsidentschaft während der gesamten Existenz des Bundesstaats Österreich "belohnen". Das "Volk", als dessen Vertreter Ender sich zeitlebens sieht, sei "noch nicht reif für die Demokratie" gewesen.
In einer Wahlkampfrede 1928 hat Ender einerseits in Feldkirch und Bregenz lebende jüdische Kaufleute und Bankiers lobend erwähnt, andererseits gleichzeitig ganz allgemein vor "dem Juden", der "heute in fast allen europäischen Staaten die Finanzen" kontrolliere und bestrebt sei, "die Kontrolle des Parlaments zu übernehmen und selbst die Kontrolle der Regierung" gewarnt.
Nach dem 1. Weltkrieg ist Engelbert Dollfuß in Wien Mitglied der katholisch-deutschnationalen Deutschen Gemeinschaft gewesen, der auch Arthur Seyß-Inquart angehört hat. Diese Gruppe hat sich zwar 1930 aufgelöst, aber im Juli 1934 nimmt Dollfuß erneut Verbindung zu Seyß-Inquart auf, um Zugang zum deutschnationalen Lager zu finden. Es kommt zu zwei Treffen Dollfuß' mit Seyß-Inquart in Mattsee und Wien.
Am 25. Juli 1934 wird Engelbert Dollfuß im Zuge eines nationalsozialistischen Putschversuchs ermordet, Kurt Schuschnigg wird Bundeskanzler und damit Führer der Vaterländischen Front und des Bundesstaats Österreich. Am 11. März 1938 wird Schuschnigg unter dem politischen und militärischen Druck des NS-Regimes des 3. Deutschen Reichs seinen Rücktritt erklären und den Weg für den „Anschluss“ freimachen.
Am 30. Jänner 1935 wird Bruno Kreisky in der Wohnung seiner Eltern verhaftet und kommt für 15 Monate ins Gefängnis. In der Untersuchungshaft lernt er vom Ständestaat verfolgte Nationalsozialisten kennen. Dies soll manchen Beobachtern zufolge dazu geführt haben, dass Kreisky persönlich und politisch nach dem 2. Weltkrieg ehemalige Austrofaschisten, von denen es in der ÖVP noch viele gibt, heftiger ablehnt als ehemalige Nationalsozialisten.
Zerstörung der zerstörten Demokratie
Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich am 13. März 1938 gibt Karl Renner dem Neuen Wiener Tagblatt ein vom NS-Staat autorisiertes Interview, das am 3. April 1938 erscheint. In dem Beitrag mit dem Titel „Ich stimme mit Ja“ erklärt er: "Obschon nicht mit jenen Methoden, zu denen ich mich bekenne, errungen, ist der Anschluß nunmehr doch vollzogen, ist geschichtliche Tatsache, und diese betrachte ich als wahrhafte Genugtuung für die Demütigungen von 1918 und 1919, für St-Germain und Versailles. Ich müßte meine ganze Vergangenheit als theoretischer Vorkämpfer des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen wie als deutschösterreichischer Staatsmann verleugnen, wenn ich die große geschichtliche Tat des Wiederzusammenschlusses der deutschen Nation nicht freudigen Herzens begrüßte. […] Als Sozialdemokrat und somit als Verfechter des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen, als erster Kanzler der Republik Deutschösterreich und als gewesener Präsident ihrer Friedensdelegation zu St-Germain werde ich mit Ja stimmen."
Renner hat zuvor sogar eine aktive Ja-Kampagne angeboten. Er hat dazu den Wiener NS-Bürgermeister Hermann Neubacher angeschrieben: "Ja, ich möchte sie bitten, dass sie mir die Möglichkeiten verschaffen, entweder in der Zeitung oder in Aufrufen, die man auf Plakaten drucken könnte, die alten Sozialdemokraten Wiens in meinem Namen aufzurufen, am 10. April für Großdeutschland und Adolf Hitler zu stimmen." Die NS-Machthaber lehnen eine so weitgehende Hilfe eines prominenten "Roten" jedoch ab und begnügen sich mit dem einen Zeitungsinterview.
Sowohl 1938 wie auch noch nach 1945 sagt Renner selbst, dass er die Erklärungen aus freien Stücken abgegeben habe. In der englischen World Review begründet er seine Zustimmung, kritisiert aber gleichzeitig Zwänge eines militärischen Staatssozialismus und ein "umfassendes Rassenregime". Man kann nicht anders als verwundert zur Kenntnis nehmen, dass dieser Mann zwar 2 mal an allererster Stelle an der Gründung der demokratischen Republik Österreich beteiligt gewesen ist aber auch 2 mal freiwillig, teils aus Ablehnung, aber auch aus Ungeschicklichkeit und Dummheit massiv an ihrer Zerstörung mitgewirkt hat.
Renner gehört sicher zu der Strömung der österreichischen Sozialdemokratie mit einer ganz starken, heutzutage von der SPÖ und ihren Freunden gerne verschwiegenen, deutschnationalen Komponente in ihrem Denken. Diese Komponente hatte schon der jüdische Gründer der österreichischen Sozialdemokratie, Viktor Adler, mitgebracht. Auch beim austromarxistischen jüdischen Vizevorsitzenden Otto Bauer, der in der parlamentarischen Opposition von 1920 bis 1934 den größten ideologischen Einfluss hat, lässt sich dieser Zug leicht erkennen.
Viele Äußerungen Renners in Parlamentsprotokollen sind verschiedentlich benutzt worden, um ihm auch Antisemitismus vorzuwerfen. Die Historiker Robert Knight und Oliver Rathkolb relativieren das allerdings. Knight will Renner "nicht glatt als Antisemiten bezeichnen, weil es gar nicht der Kern seiner Weltanschauung war. Er war nicht ein ideologischer Antisemit im Unterschied zu Kunschak oder Lueger. Es scheint mir klar, dass Renner das Judentum nicht als Kollektiv angegriffen hat. " Und Rathkolb schreibt: "Es gibt einen Unterschied zwischen antisemitischen Zurufen in einer Debatte durch Renner, die teilweise, aber nicht immer, provozierend gegen Leopold Kunschak gemeint waren, und Luegers Strategie. Das Gesamtprofil des Antisemitismus eines Lueger mit Renners gleichzusetzen, ist schlicht und einfach falsch."
Die beiden erwähnten Historiker-Zitate stammen aus einer Debatte, die der ehemalige Landeshauptmann von Salzburg, Franz Schausberger von der ÖVP, mit einem Artikel, in dem er aus dem Zusammenhang gerissene Sätze aus einer parlamentarischen Rede Renners benutzt hatte, um nachzuweisen, dass Renner nicht nur deutschnational, sondern aus massiv antisemitisch gewesen sei. Diesen Artikel eines gebildeten und demokratischen ÖVP-Führes kann man leider nicht anders auffassen, denn als x-ten Entlastungsangriff mit dem Zweck, den programmatischen Antisemitismus und die Demokratiefeindlichkeit der Partei, aus der die ÖVP hervorgegangen ist, zu relativieren.
Dem steht gegenüber, dass historisch gebildete Sozialdemokratinnen und -demokraten diese Eigenschaften der CSP, die nach dem Krieg ja auch nicht einfach verschwunden sind, sondern umgewandelt bis heute weiterleben, benutzen, um ihre eigenen demokratischen Defizite auszublenden und die deutschnationlen Züge ihrer Vorkriegsmutterpartei zu übertünchen. Am schönsten zeigen sich all diese Momente der österreichischen Demokratie immer wieder bei den Debatten um die Schaffung, Streichung und Umbenennung von Straßen- und Platznahmen in unseren schönen Städten und Dörfern.
Die erwähnte Rede hat Renner im Herbst 1920 im Nationalrat gehalten. Er kritisiert darin, sozusagen als "abgesägter" Staatskanzler die neue bürgerliche Regierung und fordert sie ironisch auf "die Judenfrage zu lösen". Ebenso prangert er die Versäumnisse der Wiener CSP-Stadtregierung bei der Integration der galizischen Jüdinnen und Juden in Wien an. Am nächsten Tag lobt die jüdische Zeitschrift "Die Wahrheit" die "denkwürdige Rede Dr. Renners" so: "nie wurde mit weniger Worten mehr Wahrheit über den Wiener Antisemitismus gesagt".
Schausberger hat diesen ganzen Kontext in seinem Artikel weggelassen. Man kann heute mit den rhetorischen Tricks und der grenzwertigen Ironie Renners nicht mehr einverstanden sein, sollte aber keinesfalls vergessen, dass sich niemand mehr die Körpergefühls-, Sprech- und Gedankenwelt der Menschen in den ersten 30 Jahren des 20. Jahrhunderts vorstellen kann. Auch dann nicht, wenn man dutzende Bücher gelesen und jede Menge Filme gesehen hat, die in dieser Zeit gedreht wurden oder handeln. Man kann darüber nur im Kopf etwas wissen und sollte sich bewusst sein, dass eigene Gefühle dazu nichts anderes sein können als Ähnlichkeitsprojektionen. Wir wollen hier aber festhalten, dass Deutschnationalismus und Antisemitismus historisch eng verwoben gewesen sind, deswegen aber noch lange nicht unausweichlich zusammengehören.
Am 15. Oktober 1944 nimmt der ungarische Reichsverweser Horthy m it der Roten Armee Waffenstillstandsverhandlungen auf.
Am 16. Oktober 1944 wird er von SS-Truppen gestürzt und auf Schloss Hirschberg am Haarsee in Bayern interniert. Die faschistische Pfeilkreuzlerpartei unter Ferenc Szálasi übernimmt die Regierung in Ungarn.
Am 1. Mai 1945 wird Horthy von der US-Armee befreit. 1948 geht er ins Exil, zunächst in die Schweiz, dann nach Portugal. Er verfasst seine Memoiren, die er unter dem Namen Nikolaus von Horthy 1953 auf Deutsch veröffentlicht. Darin verteidigt er seine revisionistische Außenpolitik und erklärt, nur das Beste für sein Land gewollt zu haben. Er stirbt 1957 in Estoril. Im Juni 2017 lobt der ungarische Ministerpräsident Orbán Horthy als einen „Ausnahmestaatsmann“. Der Verband der jüdischen Gemeinden Ungarns und der Jüdische Weltkongress kritisieren prompt den Reinwaschungsversuch für einen Hitler-Verbündeten. Der Spiegel zitiert den ungarischen Historiker Krisztián Ungváry: "Orbán will seine Wähler bedienen. Die Botschaft ist eindeutig: Wir sind brav, wertvoll und unschuldig. Wer diese Aussagen infrage stellt, ist entweder Jude, Agent des Auslands oder Kommunist."
Historische Parallelen
Es gibt viele Parallelen zwischen der 1. und der 2. Republik, allerdings auch sehr große Unterschiede. Zwar steht Kanzlerin Brigitte Bierlein grundsätzlich dem konservativ-bürgerlichen Bild von der Welt vermutlich nahe, so wie seinerzeit Johann Schober. Dieses Weltbild hat sich in einer Reihe von Grundannahmen vielleicht wenig, in den meisten Einzelheiten und in der Praxis in den vergangenen 100 Jahren erheblich verändert. Die Bundeskanzlerin ist auch kein Polizeipräsident, sondern eine Verfassungsrichterin und, was wohl auch eine Rolle spielt, eine juristisch geprägte Frau und kein militaristisch geprägter Mann. Beides kann man leicht als ziemliche Verbesserung betrachten.
Das Ende dieser Chronik und ein paar Gedanken
Die historische Bedeutung von Michael Mayr wird wegen seiner Mitarbeit an der österreichischen Bundesverfassung hoffentlich größer bleiben als die von Kurz und Schüssel zusammengerechnet. Van der Bellen und Bierlein sind wahrscheinlich schon jetzt in den Herzen vieler Österreicherinnen und Österreicher mehr gelandet als Hainisch und Schober oder Miklas das je vermochten. 2020 wird es hoffentlich entweder am 1. Oktober (Beschluss) oder am 10. November (Gültigkeit) eine 100-Jahre-Verfassungsfeier geben, die sich gewaschen hat. Jetzt schon ist der Google-Suchtrend für Kelsen besser als lange und dann sollte Herr Kelsen endlich einmal massenhaft hierzulande die Würdigung erfahren, die er immer schon verdient hat.
Die Zeit heilt fast alle Wunden und löscht gnädig fast alle Erinnerungen. Es wäre interessant, jetzt schon zu wissen, wie die aktuelle Geschichte in 100 Jahren erzählt werden wird. Ich wünschte nur, die österreichische Filmwirtschaft hätte nach 1945 den Mut und die Größe besessen, statt Sissi-Filmen Renner-, Mayr- und Kelsen-Filme zu drehen. Die hätte der ORF endlos an verregneten Samstag Nachmittagen senden können und wird hätten uns hierzulande jede Menge vor der Welt peinliche Wahlen, Regierungsbildungen und für den Gefühlshaushalt unangenehme Dinge erspart. Vielleicht wäre die Weitergabe der von der Zeitheilung gebliebenen nationalen, unbewussten Phantomwunden nicht so umfassend gewesen, wie es in der beißenden Realität doch den Anschein hat, geschehen zu sein.
Man wird sich auch fragen, warum sich die Zeiten und politischen Verhältnisse heute langsam aber sicher der Zwischenkriegszeit von 1919 bis 1934 mehr anzunähern und sich von der Nachkriegszeit von 1945-1980 immer mehr zu entfernen scheinen. Wir haben in Europa keinen Krieg hinter uns, Wirtschaftskrisen haben wir, zuletzt jene von 2008, ohne Hyperinflation, Massenarmut bei gleichzeitigem Fehlen eines Sozialsystems und Staatsbankrott, bewältigt. Ein paar Banken hat es erwischt, andere wurden von der politisch-wirtschaftlichen Elite als "too big too fail" eingestuft und mit dem Einsatz von "Volksvermögen" gerettet. Die Glaubwürdigkeit der politischen und medialen Elite hat nachhaltig gelitten, sie aber nicht handlungsunfähig gemacht oder zur Unterstützung von Putschen getrieben.
Die staatstragenden Parteien, die EU-Kommission und die Generaldirektionen in Brüssel haben bei aller Kritik praktisch alles dennoch viel besser gemacht als die verschiedenen Regierungschefs und Staatssekretariate der europäischen Zwischenkriegszeit. Keine einzige rechtspopulistische Partei hat bisher einen einzigen Putschversuch sich vor-, geschweige den unternommen. Sicher hegen in diesen Parteien einige durchgeknallte Kleinfunktionäre solche Fantasien und sprechen heimlich darüber, aber ihre Parteileitungen fressen am Ende immer Kreide und tun fast alles, um "im Verfassungsbogen" und so ministrabel zu bleiben.
Alle führen den Frieden im Mund und keiner bedroht die Nachbarstaaten oder hat vor, Minderheiten im eigenen Land zu massakrieren, höchstens ihnen Geld wegzunehmen oder ihre kriminellen Mitglieder ins Ausland zu verschaffen. Internationale Organisationen sind in vieler Hinsicht mächtiger geworden als nationale Regierungen. Niemand kann aus Nationalismen mehr, so wie in der Zwischenkriegszeit, kurzfristige unfundierte Gewinne ziehen, die man später mit Mord, Totschlag und Verwüstung bezahlen muss.
Der Hass zwischen den Lagern lebt wieder auf oder war vielleicht gar nie verschwunden, sondern nur verborgen. Angeblich ist eine digitale Revolution im Gang, die nicht wenige Leute beängstigt, aber die viele unter den Jungen eher enthusiasmiert, weil sie scheinbar die Macht der Alten untergräbt. Wir haben auf diesen Seiten schon darauf hingewiesen, dass, wenn überhaupt, nach ca. 5-7-tausendjähriger Herrschaft digitaler Codes natürlich eine analog-holistische Rückkehr-Revolution im Gang ist, die sich halt binär-digitaler elektrischer und optischer Technologien bedient.
Auch das ist nach unserer Auffassung etwas, was wir tatsächlich mit den 20-er und 30-er Jahren des vorigen Jahrhunderts teilen. Auch damals war, wenn man schon bei dieser Begrifflichkeit bleibt, ein schwerer, analoger Schub im Gang, bewirkt durch die Einführung des Hörfunks mittels tatsächlich analoger Medien, der sogenannten Radiowellen. Dieses Medium und seine Modulation bedienten wie davor das Telefon und im Gegensatz zum fast rein digitalen Medium Papier mit Alphabetschrift und Rasterbilddruck tatsächlich verschiedener Analog- oder Ähnlichkeitsphänomene, die auf dem Wellenaspekt der materiellen Welt beruhen. In der Wahrnehmung hatte das, einschließlich des ganz und gar digitalen Stummfilms und des Tonfilms mit digitalem Bild und analogem Ton einen mit dem, was heute geschieht, durchaus verwandten Effekt. Die Sichtbarkeit der Abstraktion durch Papier und Schrift begann in den Hintergrund zu treten, die akzentfreien Hochsprachen, die aus der Zeitung, Romanen und geschriebenen Theaterstücken schallten, machten mit regionalen Akzenten geschmückter, massenhaft gehörter Sprache Platz. All das, auch wenn das Vermittelte noch so weit entfernt war, erschien plötzlich wie selbst erlebte, lebendige, gleichzeitige Realität. Das wäre ein Punkt, von dem aus es sich lohnte, weiter nachzudenken.
Man wird natürlich auch die wirtschaftlichen Umstände betrachten müssen. In den letzten Jahren kommen ökonomische Theoretiker wie Praktiker, Wirtschaftspsychologen wie Politikexperten mehr und mehr zur Überzeugung, dass der "grenznutzenoptimierende" bürgerliche Homo oeconomicus, dessen Untergang gescheite Menschen wie Schumpeter, Hajek und Drucker schon in den 30-er Jahren so beredt beschrieben und beweint haben, in vieler Hinsicht eine Fiktion der bürgerlichen ökonomischen Theorie ist. Am Ende eines so langen Textes soll das jetzt nicht weiter ausgewalzt werden. Vielmehr muss es genügen, festzuhalten, dass Risikoeinschätzungen wichtige Elemente von Entscheidungsprozessen sind und sich dabei auch extrem intelligente und gebildete, rationale Menschen wie Universitätsprofessorinnen und Nobelpreisträger aus Fächern mit mathematisch-statistischen Grundlagen erstaunlich oft irren.
Es stellt sich heraus, dass Risikoeinschätzungen, bewusst oder unbewusst, kollektiv erfolgen und dabei versuchen, komplexe Strukturen mit vielen Teilnehmern, wie es Politik und Märkte nun einmal sind, intuitiv auf einfache Verhältnisse zu reduzieren. Risikoeinschätzungen vergleichen mit Erfahrung und versuchen in die Zukunft zu blicken, halten sich aber meist nicht andas, was sie vorne sehen. Vielmehr nehmen sie das Bild im Rückspiegel für den Spiegel der Zukunft. Wie dem auch sei, die Zukunft sah die ganze Zwischenkriegszeit hindurch sehr instabil und unsicher aus, dann lange in der Nachkriegszeit stabil und sonnig und sieht jetzt wieder, trotz aller Appelle an konstruktives und positives Denken und Sprechen wieder unstabil und unsicher aus. Umso mehr dann, wenn man an seine Kinder und Kindeskinder denkt. Und diese Appelle sind für alle, die sich nicht eh schon auf der Siegerstraße wähnen, das, wonach es sich anhört, Appelle und Prep Talk. Für die auf der Siegerstraße sind sie natürlich auch Preptalk und dazu ein Vorhutangriff auf die faulen und neidischen anderen, damit man diese, wenn der Appell, wie leicht vorauszusehen, nichts nützt, umso besser verurteilen kann.
Klar geht es den Leuten in Europa und anderswo zumindest wirtschaftlich und gesundheitlich unvergleichlich besser als 1949, 1919 oder gar die meiste Zeit davor. Wer hätte sich damals schon denken können, dass die Mehrheit der Leute in Europa einen Job hat, andere von den Eltern oder der Pensionskassa versorgt werden, fast alle eine eigene Wohnung haben und in der Mehrheit der Jahre entscheiden müssen, wohin in der Welt sie in Urlaub fahren oder fliegen sollen. Es ist mit der Armut hierzulande sicher nicht ganz so schlimm wie in den USA oder im UK und mit früheren Jahrhunderten gar nicht vergleichbar. Aber spüren, dass es irgendwie nicht mehr so wie in den 50ern, 60ern und 70ern richtig auf- und vorwärts geht, das tun viele schon ihr halbes oder ganzes Leben lang.
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